Ich muss gar nichts!

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am 06.01.2017

Bahnfahrten sind doch eigentlich etwas Angenehmes. Sie sind Gedankenbrücken, auf denen man flanieren kann. Dabei begegnet man hin und wieder herumlaufenden Ideen, nach denen man in dem Moment vielleicht überhaupt nicht gesucht hatte. Bahnfahrten sind Brainstorming und Entspannung zugleich. Eigentlich.

Ein Störfaktor jedoch hindert manchmal am kreativen Sinnieren: Es sind sich aufregende Menschengruppen. „Bei mir läuft es gerade schlecht.” „Ach ja? Ich stehe auch vollkommen unter Stress.” „Warum habe ich so viel Unglück?” „Ich schaffe das niemals!” Man möchte gewiss nicht mithören, doch diese Lautstärke durchschlägt jedes Weghörvermögen.

Es sind doch solche Gespräche, in die normalerweise niemand hineingeraten möchte: Menschen schildern ihre angeblich ungünstigen Lebensumstände und belästigen sich gegenseitig mit ihren Problemen. Das Schema bleibt stets dasselbe: Du erzählst mir von deinen Problemen, dann erzähle ich dir von meinen; dann entladen wir unseren Zorn auf andere. Gesprächsintention ist dabei nicht gegenseitiges Verständnis, sondern Winseln um (Selbst-)Mitleid. Stress und Lustlosigkeit sind nur logische Konsequenzen.

Wörter verändern Worte

So künstlich dieser fruchtlose Stress herbeigeführt wird, so einfach können „Probleme” Proaktivität, also eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Handeln, fördern. Der Schlüssel liegt in unserer Sprache. Unser Denken beeinflusst unsere Sprache und umgekehrt. Je nachdem, in welcher Sprache wir denken und kommunizieren, nehmen wir unsere Welt anders wahr.

Autoren und Redner können mit treffend gewählten Wörtern und Worten ganze Welten im Kopf ihrer Rezipienten entstehen lassen. Mit „Flüchtlingswelle” - einem einzigen Wort - suggeriert ein Journalist ohne Weiteres, dass die ankommenden Menschen einer Naturkatastrophe glichen, gegen die wir uns mit einem gigantischen Damm schützen müssten.

Einige einfache Wörter allein sind negativ konnotiert und in Gesprächen daher möglichst zu meiden. „Aber” ist eines dieser Wörter. Zählen wir etliche gute Dinge auf und hängen ein „aber” an, so löschen wir praktisch alles vorher Gesagte. Die Hoffnung auf konstruktive Kritik schwindet, sobald dieses eine Wort fällt: „Das war schon echt gut, aber ...” - damit liegt das Augenmerk auf dem Negativen und unser Gegenüber fühlt sich durchweg kritisiert, selbst wenn wir es keinesfalls so meinten.

Stattdessen bietet sich „und” als positiver Ersatz an. „Das war schon echt gut, und wenn du beim nächsten Mal noch mehr Absätze hinzufügst, wird der Text noch leserfreundlicher!” Klingt das nicht direkt annehmbarer und motivierender?

„Aber” ist ein überaus kräftiges Wort. Leider wird es zu häufig auch als legitimen „Schutzschild” verwendet. Ich persönlich schalte mittlerweile auf Energiesparmodus, wenn jemand beginnt mit: „Ich bin ja kein Rassist, aber ...”

Gerade wenn die Wörter anderer Leute unsere Gedanken beeinflussen können, so sollten wir doch wohl selbst in der Lage sein, eigene Gedankenwelten zu entwerfen. Idealerweise steht uns ein sich ständig erweiterndes Modell zur Verfügung, dessen Konzept wir uns zu eigen machen sollten: das Neurolinguistische Programmieren (NLP). Es untersucht die Interaktion zwischen Gehirn und Sprache und begründet damit unsere Handlungsweisen. Denken sei wie ein innerer Monolog, den wir als Kapitän selbst lenken könnten.

Es missfällt, wenn jemand sagt, er/sie müsse hier und dort dies und jenes tun. Etwas tun „müssen” erzeugt permanenten Druck und impliziert Abhängigkeit. Muss man das wirklich tun? Zwingt uns etwa jemand? Sind wir fremdbestimmte, hilflose Marionetten?

Mit lediglich einem Wortaustausch wirkt der Rahmen wieder ganz anders. Wir implizieren Spaß und Motivation, wenn wir zur Arbeit wollen oder möchten. Wir suggerieren Vorfreude und Dankbarkeit, wenn wir zur Arbeit dürfen. Andere Menschen - beispielsweise in Entwicklungsländern - leben mit weitaus weniger Möglichkeiten als wir. Sie haben nicht das Privileg, zu entscheiden, wo sie arbeiten möchten; sie müssen im Ausbeuterbetrieb ausharren, weil sie keine andere Perspektive sehen. Diese Tatsache sollte nicht in Vergessenheit geraten.

Gutes Wasser macht guten Tee, gutes Vokabular macht gutes Denken

Dem psychologischen Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung” nach tendierten wir oftmals dazu, uns (unbewusst) so zu verhalten, dass wir bestimmten Erwartungen gerecht werden. Unter anderem ist der allseits bekannte Placebo-Effekt darauf zurückzuführen.

Und was heißt das für unser Handeln? Erwarten wir Hemmnisse, sehnen wir sie uns geradezu herbei, denn wir programmieren unser Verhalten dementsprechend auf das Misslingen.

Abhilfe verspricht das sogenannte transformatorische Vokabular des NLPs: Wir können bedrückende Wörter und Formulierungen durch beschönigende oder auch lustige ersetzen, um die Gefühlsintensität zu mindern, gar das Gemüt zu ändern. Es macht schon einen bedeutenden Unterschied, ob wir uns überfordert oder herausgefordert fühlen.

So sieht ein typisch hemmender Tagesbericht aus: „Ich erschöpfe mich, verfalle dem Stress und werde kläglich scheitern bei den vielen Problemen.”

Und so eine passende, beispielhafte Umschreibung: „Ich werde langsam flügellahm, weil ich ziemlich beschäftigt bin, aber erweitere stets meinen Horizont aufgrund der vielen Herausforderungen.” Hier wird der Fokus weggelenkt von der negativen selbsterfüllenden Prophezeiung und hin zum motivierenden Drang nach Erkenntnis.

Wir modifizieren also unsere Sprache, um Gefühle zu ändern; Gefühle hingegen beeinflussen unsere Gedanken nachhaltig, welche unsere Handlungen bestimmen. Am Ende folgt immer ein Ergebnis. Es ist wie eine Kausalkette. Ein gutes Ergebnis wurzelt oft einem guten Gefühl, das wiederum meist durch unsere Sprache beeinflusst wurde.

Denken und Handeln nach Aristoteles

Es geht nicht darum, sich auf heuchlerische Weise in ein Optimismus-Korsett zu zwängen und eine verzerrte Sicht auf die Realität zu haben. Natürlich kann nicht alles auf der Welt ins positive Licht gerückt werden. Allerdings geht es darum, hoffnungsvoll und unverdrossen auf die Realität zu blicken, und dies in der Sprache zum Ausdruck zu bringen.

Glückseligkeit ist bekanntermaßen ansteckend. Wir dürfen ruhig öfter mit hochgezogenen Mundwinkeln durch die Gegend stolzieren. Oder was tun wir sonst, wenn uns ein Säugling anlächelt? Zurücklächeln, nehme ich doch an.

Selbstverständlich kann trotz positiven Wortschatzes nicht alles so laufen, wie geplant. Echauffieren jedoch nützt niemandem - damit suchen wir nur nach Fehlern, die erneut in eine negative selbsterfüllende Prophezeiung münden. Zumindest können wir unsere Sprache steuern, Gedanken sortieren und einen neuen Anlauf starten, oder in Aristoteles' Worten: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.”