Autos und Bahnen reden miteinander?!

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am 15.12.2016

Bald sind Weihnachtsferien! Bald heißt es wieder: Ab in die Autos, ab zu den Großeltern.

„Immer rein in die gute Stube, die saftige Gans im Backofen ist schon braun gebrannt. Riecht ihr sie denn schon?” Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Kommt darauf an, ob ihr die Anreise hindernislos bewältigt habt oder doch im Stau verzweifelt seid. Trifft letzterer Fall ein, dann könnt ihr noch so viele Weihnachtsgansbilder googeln - den weihnachtlichen Duft könnt ihr nicht simulieren.

Vielleicht denkt ihr euch dann auch: „Wenn man mich mal fragen würde, dann würde ich für alle Staus eine Mindestgeschwindigkeit einführen!”

Es geht um die Zukunft des Verkehrs.

Knapp 40 Stunden stehen Autofahrer*innen in Deutschland pro Jahr im Stau - Tendenz steigend. Der Kampf dagegen ist nicht einfach mit breiteren Straßen oder mehr Parkplatz anzugehen. Wie diese unangenehmen Lebenszeitfresser aus deutschen Großstadtstraßen tatsächlich verbannt werden können, wurde am 15. November 2016 beim 85. „Treffpunkt WissensWerte“ der Technologiestiftung Berlin und des Berliner Inforadios debattiert. Die drei Podiumsgäste um Dr. Sigrid Nikutta (Vorstandsvorsitzende BVG), Prof. Andreas Knie (Geschäftsführer innoZ GmbH) und Dr. Kim Kahler (Projektleiter Car2X) berichteten vom heutigen Stand der Dinge im Straßen- und Schienenverkehr und erörterten realistische Ansätze sowie Konzepte der vernetzten Mobilität.

Gut, dass trotz Brexit und Trump noch über Stau diskutiert wird. Diese Problematik sollten wir nämlich nicht vor uns herschieben - sonst staut sie sich noch.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion erschloss sich mir zusätzlich die Möglichkeit, persönlich auf Herrn Knie zuzugehen und weitere Ideen und Meinungen zu stibitzen. Was alles habe ich also an jenem regnerischen Abend an Input mitgenommen?

Frau Nikutta rührt die Werbetrommel.

Die Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe nutzte die Veranstaltung natürlich, um für die BVG und allgemein für den öffentlichen Personennahverkehr Kunden zu akquirieren. Heute schon befördere die BVG drei Millionen Gäste, die S-Bahn weitere eineinhalb. Werktags komme die BVG auf rund 30 000 Fahrten, und da sei noch viel Luft nach oben. Berlins 100 Kilometer lange Busspur solle deutlich erweitert werden. Außerdem sei das Ziel, Bahnen zukünftig im Zwei-Minuten-Takt fahren zu lassen. Um noch nachhaltiger zu werden, solle die Bahn vollkommen elektrisiert - momentan sind etwa 25 Prozent elektrisch - und den Gästen zudem günstige Umweltkarten angeboten werden.

Frau Nikutta zufolge liege die Hoffnung nicht in Elektroautos; sie postulierte intelligente Vernetzung als den Schlüssel.

Was heißt denn „intelligente Vernetzung”?

Das ist das, was man in diversen Zukunftsfilmen bestaunt: Jegliche Autos, Busse und Bahnen sind mit Ampeln, mit der Infrastruktur und natürlich untereinander über das Internet verbunden und können somit miteinander „reden”. Aus den Mengen an Daten ist es dann möglich, Prognosen zur Stauentwicklung abzugeben.

In der Tat fahren in Nürnberg bereits zwei der drei U-Bahn-Linien vollkommen autonom. Ich hatte das Glück, jenen Meilenstein dieses Jahr dort selbst zu begutachten. Pünktlichkeit erlebt dort neuen Aufschwung. Und es ist schlicht beeindruckend, mit welcher Präzision die Bahnen bremsen. Nicht umsonst markieren Pfeile auf dem Boden exakt, wo sich die Türen öffnen werden.

Die Zukunftsvorstellungen aus Filmen sind also gar nicht so weit hergeholt. Herr Knie und Herr Mahler sind auch überzeugt vom automatisierten Autofahren. Zunächst solle dies auf Autobahnen umgesetzt werden, später, wenn die Technik wirklich so ausgereift sein sollte, auch mitten in der Stadt.

Warum das Auto an sich kein Problem darstellt.

Laut Prof. Knie seien in Berlin 350 000 Autos ertragbar. Problem: Hier deponieren 1,2 bis 1,3 Millionen Pkw. Dabei brauche kein Mensch ein eigenes Auto. Eine Dummheit liege dem Ganzen zugrunde. Er sei zwar nicht gegen das Auto, aber gegen den dümmlichen Gebrauch von Autos. Es sei dumm, Gegenstände mit einem durchschnittlichen Wert von über 15 000€ ungenutzt auf der Straße stehen zu lassen. Ein Auto sei lediglich eine Mobilitätsreserve. Selbstverständlich möchte jeder die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wann man wie wohin fahren möchte. Aber für zwei unbedingte Fahrten im Monat brauche man doch kein eigenes Auto. Carsharing wäre die ideale Lösung.

Vernetzte Mobilität funktioniert nur mit 5G.

Herr Mahler verglich folgendermaßen: „Keine Vernetzung ist wie ein Computer ohne Internet.” Ineffizient. Und um den Verkehr zu vernetzen, sei eine wirklich sehr starke mobile Internetverbindung erforderlich. 3G oder 4G-LTE würden niemals reichen. Die Zukunft liegt in „5G”, das sogar schon 2020 in Betrieb gehen soll. Solche Mobilfunknetze stellen das Bisherige weit in den Schatten und hören sich selbst schon utopisch an. Im Vergleich zum LTE erreicht 5G eine 100-fach höhere Datenrate (bis zu 10 000 Mbit/s), im Vergleich zu eurem 16K-DSL-Anschluss gar eine 625-fache! Damit macht das Streamen von Serien und Filmen doch wieder Spaß! Aber das nur nebenbei. 5G wird wahrscheinlich das Fundament für autonome Verkehrssysteme bilden.

Dezentrale Knotenpunkte bilden ein unzerstörbares Konstrukt.

Man merkt, es verlagert sich alles zunehmend in den Bereich der Elektrotechnik. Was aber, wenn die Stromnetze zusammenbrechen? Bricht dann auch das gesamte Verkehrssystem zusammen? Sind derartige Verkehrsdystopien in Berlin zu befürchten?

Prinzipiell ist ein Stromausfall durchaus möglich, allerdings gibt es dazu eine doch recht simple Form der Prävention: der Aufbau großer Redundanzen. Das heißt, es sollen viele Knotenpunkte von Stromnetzen existieren, sodass wir nicht von dem einen Stromnetz abhängig sind. Wenn ein Netz ausfällt, wird es von mehreren anderen Stromnetzen aufgefangen; der Strom funktioniert immer noch.

Ein weiterer praktischer Ansatz Herrn Knies: Allein in Brandenburg hätten wir schon jetzt doppelt so viel Strom, wie wir in Berlin eigentlich bräuchten - bloß nicht zur richtigen Zeit. Daher stellt sich die Frage, wo wir den Strom speichern könnten. Nehmen wir doch wieder die Elektroautos. Hätten wir 200 000 davon, die die Energie speichern, so wären wir auch schnell das Speicherproblem los.

Welche Schattenseiten birgt vernetzte Mobilität?

Um die selbstfahrenden Autos zu koordinieren, sind Daten vonnöten. Davon solle auch möglichst viel gesammelt werden. Doch wenn das Thema „Internet und Daten” angesprochen wird, lauert die Diskussion um Datensicherheit nur so um die Ecke. Herr Mahler versichert, dass Datensicherheit an oberster Stelle stehen würde. Auch daran wird ja intensiv geforscht.

Einig waren sich die Gäste allerdings in dem Punkt, dass wir durch die mobile Vernetzung eine größere Abhängigkeit erfahren. Hier möchte ich mit einem Zitat von Prof. Knie abschließen, das zu denken gibt: „Wir kaufen unseren Fortschritt mit mehr Abhängigkeit.”

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