Die Bärlauchexpedition – zwischen Nostalgie und Horror!

am 07.04.2016

Als Kind war es das reinste Märchen, im Wald spazieren zu gehen und allerhand Essbares dort zu sammeln. Mein Opa nahm mich oft mit, weil er sich durch die flinken Kinderhände einen Vorteil gegenüber seinen Mitstreitern versprach. Spross der Bärlauch an den Wegesrändern, so hieß es: Der Frühling kommt!

Der starke, würzige Geruch der Pflanze macht den Suchenden ganz allein auf sich aufmerksam. Mit Bärlauch kann man eine Menge anstellen: Man kann ihn roh essen und Mundgeruch bekommen. Man kann aus ihm Suppe machen und ebenfalls Mundgeruch bekommen. Man kann an ihm riechen, bekommt zwar keinen Mundgeruch, jedoch leicht tränende Augen. Bärlauch heißt Heimat, zumindest für mich. Er konnte Hobby sein, über Glück und Unglück entscheiden und zu Kämpfen führen zwischen den Waldsammlern.

Eine Freundin von mir, ebenfalls jung und bärlauchaffin, hatte die zündende Idee, wie wir an das „Zeug“, den „Stoff“, na das „Kraut“ kommen könnten. „Wir müssen“, so sagte sie, „nur in den Plänterwald fahren“. Anfangs war ich eher skeptisch. Ich dachte, in Berlin könnte man nur Körbe vorm Berghain sammeln. Ich wurde jedoch eines Besseren belehrt.

Angekommen im Spree Park, DEM verlassenen Freizeitpark im Herzen Berlins, der mit rostigen Kassenhäuschen und originalen Laternen VON DAMALS aufwarten kann, vergaßen wir schnell den Bärlauch. Ein neues Ziel war gefasst und musste erkundet werden. Vorbei an bloggenden Grüppchen, Zäunen und zerschlagenen Bierflaschen. Vorbei an Security-Männern MIT SCHÄFERHUND und auf FAHRRÄDERN. Vorbei an Schildern mit der Aufschrift: „Betreten verboten!“ Vorbei an schwitzenden Leuten, die sich durch Bewegung versuchen, fit zu halten. Vorbei an Gedanken wie „Ist das noch Nostalgie oder schon Platzverschwendung?“ fanden wir eine kleine kümmerliche Ecke. Dort wurden wir einiger Bärlauch-Stängel ansichtig. Stürmten darauf zu, traten paarmal auf Hundekot und paarmal in Brennnesseln und sammelten je eine Hand voll Bärlauch.

Eifrig diskutierten wir, was wir damit anfangen sollten. Bärlauch von HIER roch nicht wirklich intensiv und den Unrat erwähnte ich bereits, also tat ich, was die meisten tun würden: Ich zuckte die Achseln, steckte mein Büschel in eine kleine Tüte und nahm mir vor, dieses Zeug genügend abzukochen und in irgendeine „leckere-super-duper-vegane-regionale-alternative“ Suppe zu verwandeln. Vielleicht, so dachte ich, könne man es mit einem traditionalen Gericht verbinden. Leider irrte ich mich gewaltig. Das traditionale Gericht hieß „Okroschka“ und bedeutete für mich, ich brauchte Kwas, Würstchen, Milch, saure Gurken und den Bärlauch zum Aufpeppen. Noch bevor ich alles in einen Topf warf, stellte ich fest, die Suppe konnte nicht mehr „lecker-super-duper-vegan-regional-alternativ“ werden, weil das „vegan“ durch die Würstchen in „normal“ verwandelt wurde. Erster Niederschlag. Saure Gurken mochte ich nicht. Raus damit. Kwas ist übrigens ein herbes Malzgetränk, deswegen entschied ich mich für Bier.

Nach gefühlten 45 Jahren, erinnerte ich mich des Bier-Milch-Würstchen-Bärlauch-Erzeugnisses. Es war ziemlich zerkocht. So probierte ich mutig die Plärre, fluchte auf Russisch, wie ich lange nicht geflucht hatte und fühlte mich wieder zu Hause. Danke Bärlauch, du hast es geschafft, mich auch in diesem Jahr zu erfreuen!