ESC 2016 - was Neues oder wie immer?

ein Beitrag von Lucas

Jamala aus der Ukraine gewann mit ihrer Gospel/Folk/Elektro-Ballade den Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm. Die australische Sängerin Dami Im landete mit ihrem Pop-Song „Sound of Silence“ auf Platz zwei. Der russische Sänger Sergey Lazarev erlangte mit seinem typischen russischen Pop-Song - Moll, absteigende Kadenz und gnadenloser Schlagertakt auf den dritten. Die deutsche Teilnehmerin Jamie Lee erreichte mit 11 Punkten den allerletzten Platz. Das sind die Ergebnisse, die aus der deutschen Perspektive zwar ernüchternd, aber nichts Besonderes sind. Doch war es eine klassische ESC-Veranstaltung wie jedes Jahr?

Fest steht: Der ESC verändert sich - definitiv.

Um genau zu sein, hat er sich schon verändert. Dieses Jahr nahmen 42 Länder teil. Von denen sangen gerade einmal zwei Teilnehmende nicht auf Englisch. So wenig waren es noch nie. Aber gut, die Sprache eines Textes macht ein Lied nicht komplett aus. Aber auch musikalisch hob sich der ESC sehr von den vorrangegangenen Jahren ab. Keine „Presswurst-Kleider“, keine jugoslawischen Folkpower-Balladen, keine auffällig bunt-knalligen Aufmerksamkeitsfeuerwerke, keine verrückten Stilkreuzungen, die nur der ESC hervorbringt, weil die Fernsehanstalten, welche die Beiträge aussuchen, versuchen, einem undefinierbaren, europäischen, modern-konservativen Anspruch gerecht zu werden und dem Beitrag noch irgendetwas landestypisches anstreichen wollen.

Ungarn verwöhnte uns dieses Jahr nicht mit einem achtziger Jahre Pop-Mix. Die Länder Serbien und Montenegro ließen die Titanen der osmanisch anmutenden Balkanpopmusik dieses Jahr zu Hause. Kreative Querköpfe wie Moldawien, Rumänien oder Bulgarien hielten sich dieses Jahr enorm zurück. Die Bulgarin Poli Genova wirkte zwar kreativ, doch eigentlich war es nur ein Clubhymne.

Italien, das die vergangenen Jahre vor allem in den Jahren 2012, 2014 und 2015 mit einer unnachahmlichen Eleganz beeindruckte, pflanzte ein paar Blumen auf die Bühne, die Sängerin durfte zwar italienisch singen, sich bewegen beispielweise aber dann doch nicht. Besonders enttäuschend war dieses Jahr Albanien. Kaum ein Land schickte mit so einer Kontinuität Beiträge, die in jeder Hinsicht Potenzial hatten. Leider seit zwei Jahren immer in für den ESC überarbeiteter und erkalteter Version.

Aber wenn so viel fehlt, was sahen wir dann? Obwohl es vierzig Beiträge waren, kann ich das leicht sagen. Bei den meisten Liedern hatte ich das Gefühl, ich kann sie auch hören, wenn ich in Berlin das Radio aufdrehe oder in eine Party hineinplatze. Mir scheint es ein klares Wirrwarr aus Rock, lauen, abgewandelten Pop-Balladen und allgemein allen Elementen des heutigen Musikspektrums zu sein. Nichts, wofür man den ESC schauen müsste. Zugegebenermaßen aber gab es mit vier Beiträgen, die mit Rockmusik in Verbindung standen, überdurchschnittlich viele dieses Jahr.

Doch wohin steuert der ESC?

Ein Jahr nach der Erstteilnahme Australiens hat dieses Jahr China bei der europäischen Rundfunkunion angeklopft. Wandelt sich der ESC also zu einer Musikweltmeisterschaft? Anpassungsfähigkeit bewies er souverän gegen Ende der neunziger Jahre, als die Staaten Osteuropas in den Wettbewerb drängten. Anders als andere Wettbewerbe ändert der ESC sein Regelwerk fast jedes Jahr. In Atemberaubenden Tempo schuf man Halbfinale, Telefonabstimmungen und schaffte die Orchesterbegleitung ab. So wurde die moderne merkwürdig-bunte Musikgala geboren, die wir heute kennen. Die anfängliche Atemlosigkeit über die Teilnahme Australiens hat sich genauso schnell wieder gelegt. Das verwundert auch nicht. Außer etwas Show bei der Punkteverkündung von Australiens Jury fällt das Land ja auch kaum im Wettbewerb auf. Warum? In Australien scheint einfach dieselbe Musik gehört zu werden wie in Europa, sodass sich die beiden australischen Beiträge nicht besonders abgehoben haben. 2015 hörten wir eine poppige Soul-Funk-Nummer von Guy Sebastian und dieses Jahr konnten wir eine Dami Im zuschauen, eine in Korea geborene Sängerin, die irgendwie erstaunlich an Taylor Swift erinnerte.

Nach dieser ''tiefgreifenden'' Neuerung – ein Land, in das man von Europa aus sehr weit reisen muss, aufzunehmen – können wir also gespannt sein, welchen Kurs der ESC in Zukunft nehmen wird.

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