„Behindert, ja und?“ - Wie Inklusion zur Normalität werden kann

am 14.12.2020
Jasper und Linus vom Handicaplexikon sitzen auf einer Mauer und lächeln

Integration zur Vervollständigung unserer Gesellschaft

Es leben 7,9% schwerbehinderte Menschen in Deutschland (Destatis.de, 2018). Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder sinnes Beeinträchtigungen haben.

Viele Menschen mit Behinderungen haben bereits in ihrem Leben Ablehnung, Diskriminierung oder Ausgrenzung erfahren.

Seit 1994 steht im Artikel 3 des Deutschen Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Das Land Deutschland und viele engagierte Menschen leisten täglich Integrationsarbeit z.B. mit Vereinen oder Aufklärungsfilmen.

Um einen persönlichen Einblick zu gewähren, habe ich ein Interview, mit einem Betroffenen geführt. Ist Integration bereits vollständig erreicht worden in Deutschland?

 

Interview mit Jasper von Handicap-Lexikon.de

Hallo Jasper, ich freue mich dich interviewen zu dürfen!

Stellt euch zu allererst gerne einmal vor:
Hi, ich bin Jasper, inzwischen 25 Jahre, layoute die Berliner Behindertenzeitung mit einer Auflage von 10.000 Stück und setze mich nebenbei noch für Themen wie Behinderung, Inklusion und Teilhabe ein.

Wie bist du dazu gekommen, die Webseite handicap-Lexikon.de zu gründen? Wie kamst du auf die Idee?:
Die Idee einer Webseite, die über verschiedene Behinderungen aufklärt, kam von meinem Freund Linus. Er hatte Bemerkungen von Kindern und Erwachsenen wie „der Arme“, „Was hat er denn?“ oder „Ist er krank?“ einfach satt und wollte für Aufklärung sorgen. Dazu muss man sagen, dass wir beide zwar eine körperliche Behinderung mit Sprach- und Gleichgewichtsproblemen haben, diese uns aber anderweitig nicht einschränkt.

Wofür steht euer Name? Wie ist das Lexikon auf eurer Webseite aufgebaut?:
Das Handicap Lexikon ist eine Webseite mit zwei großen Funktionen. Zum einen gibt es das Lexikon, wo bereits viele Behinderungen beschrieben sind - Auswirkungen, Verlauf, Ursprung, etc. Daher kommt auch der Name "Handicap Lexikon".

Der andere Bestandteil der Webseite sind unsere Fragebögen. Diese sind speziell für Menschen mit und ohne Behinderungen konzipiert. Alle Menschen, die unsere Webseite besuchen, können ihre Erfahrungen in Bezug auf Behinderungen mit anderen Menschen teilen. Die Antworten können auf unserer Webseite nachgelesen werden (www.handicap-lexikon.de).

Zum Teil sind es ziemlich viele Antworten, die etwas näher gehen und viele Einblicke in das Leben verschiedenster Personen geben.

Auf dem Logo des Handicap-Lexikons sind verschiedene Personen zu sehen

Für was setzt ihr euch auf eurer Webseite ein?:
Das Ziel ist Akzeptanz gegenüber Menschen mit Behinderungen.

Auf unserer Webseite gibt es auch einen Blog und YouTube Videos. Das soll zeigen, dass und wie wir selbst mit unserer Behinderung im Alltag zurecht kommen.

Wie geht ihr persönlich mit eurer Krankheit Cerebralparese um? Was hilft euch in schweren Momenten?:
Da haben wir es wieder: Eine Behinderung ist keine Krankheit. Ich unterstelle jetzt mal, dass viele Menschen so denken. Allerdings kann somit die Inklusion und die Akzeptanz in Deutschland nichts werden.

Die Cerebralparese ist eine Bewegungsstörung. Diese Störung wird durch Sauerstoffmangel hervorgerufen. Die häufigsten Ursachen sind dafür:

Vor der Schwangerschaft: Erkrankungen bei der Mutter. Zum Beispiel Infektionen, Nieren- oder Stoffwechselerkrankungen.

Während der Geburt: Schwierigkeiten wie Sturzgeburt oder eine längere Geburt.

Nach der Geburt: Schwere Erkrankung des Kindes in den ersten Lebensmonaten wie beispielsweise Infektionen mit Beteiligung am Gehirn.

Nicht in allen Fällen wird das Gehirn geschädigt. Als Folgen können Schäden des Gleichgewichts auftauchen. Aber auch eine Hemmungen der Nervenfunktion, die eine nicht gewollte Anspannung und Erschlaffung der Muskeln veranlasst. Daher kommt es meist zu unwillkürlichen Bewegungen.

Wie soll ich damit umgehen? Ich versuche eigentlich ganz normal damit umzugehen, gehe arbeiten, einkaufen, schlafen, essen, mache Sport und gehe gerne auf Konzerte, was momentan leider nicht geht. Bei den Sachen, wo ich Hilfe benötige, habe ich Assistent*innen, die mich unterstützt. Für mich ist das ein normales Leben. Aber was ist schon normal :-)

Findet ihr es gut, im Alltag oft wie ein „Mensch mit besonderen Bedürfnissen“ behandelt zu werden, oder wünscht ihr euch, wie jeder andere Mensch behandelt zu werden? Wenn ja, in welchen Situationen wäre das?:
Wir wollen ja Inklusion, was bedeutet, dass alle Menschen, die gleichen Rechte und Pflichten haben sollten. Von daher würde ich sagen, ich wünsche mir, wie jeder "normale" Mensch behandelt zu werden.

Habt ihr das Gefühl junge Menschen und speziell junge Menschen mit Behinderung werden genügend in Entscheidungsprozesse mit einbezogen? Falls nein - wo speziell würdet ihr euch das mehr wünschen?:
Generell werden junge Menschen zu wenig mit einbezogen - Stichwort: Fridays for Future. Oder aktuell Corona. Was meinen die jungen Menschen dazu? Sind wir wirklich so schlimm?

Mein Lieblingsthema sind ja die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, wo die Menschen wirklich einen Hungerlohn (und noch nicht mal den) bekommen, obwohl sie für große Firmen irgendwelche Teile produzieren. Werden diese Menschen gefragt, ob sie da arbeiten möchten oder doch lieber auf dem ersten Arbeitsmarkt?

Ich persönlich habe mich gewehrt, in eine solche Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zu gehen und habe meine Ausbildung zum Mediengestalter auf dem ersten Arbeitsmarkt gemacht und arbeite jetzt auch dort.

Es klappt. Man muss nur den Willen haben.

Jasper und Linus sitzen auf einer Treppe mit rotem Teppich

Als letztes: Nennt einen Satz, den ihr den jungen Leser*innen mitgeben würdet für die Zukunft, bezogen auf Handicaps und Integration:
Nehmt Menschen mit Behinderungen und ihre Wünsche ernst.

Fragt sie, was und wo sie Hilfe benötigen.

Sag’s mit coolen Klamotten: https://shop.spreadshirt.de/handicap-lexikon/

Vielen Dank für das Interview!

 

Der Weg zur absoluten Integration
Auch wenn vielen Jugendlichen die Berührungspunkte mit diesem Thema fehlen, ist es immer besser aktiv zu handeln, als zu ignorieren. Als Jugendliche haben wir einen großen Einfluss darauf, die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Man sollte immer versuchen mit kleinen Dingen dafür zu sorgen, dass jeder Mensch, egal mit welcher Herkunft, welchem Alter, welcher Hautfarbe oder auch mit welcher Behinderung sich bestmöglich integriert und gesehen fühlt.
 Ich persönlich probiere Schritt für Schritt in Richtung Integration zu gehen. Dafür habe ich angefangen „ein Mensch mit Behinderung“ statt „ein Behinderter/eine Behinderte“ in meinem Sprachgebrauch zu verwenden. Außerdem habe ich aufgehört Menschen mit Behinderungen mit zu viel Mitleid anzusehen. Denn Mitleid bringt diese Menschen auch nicht weiter. Menschen mit Behinderungen wollen integriert und gehört werden. Wir alle sollten gleichermaßen miteinander reden und zusammenarbeiten. Denn jede*r einzelne*r von uns hat eine große Sache gemeinsam: Wir sind auf die gleiche Weise auf die Welt gekommen und werden diese auf die gleiche Weise auch wieder verlassen.