„Einen Mozart kann man nicht verdrängen!“

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am 06.09.2016

Das „Young Euro Classic Festival“ (YEC) ist seit dem Jahr 2000 ein wichtiger Treffpunkt für junge Klassik-Musiker aus ganz Europa. Erstmals als Chefdirigent der deutschen Streicherphilharmonie dabei ist Prof. Wolfgang Hentrich. jup! Redakteurin Sina hatte die Möglichkeit, ihn vor dem Auftritt am 01.09.2016 zu treffen. Wolfgang Hentrich über seine Arbeit mit Jugendlichen, die Funktion des YEC und warum die Klassik immer erhalten bleibt.

Orchester Archivbild

 

jup!: Das Merkmal des Young Euro Classic Festivals ist neben der Musik junger Musiker auch das Zusammenspiel vieler Nationen. Wie finden Sie dieses Konzept ?

Hentrich: Na super. Ich finde das Konzept natürlich super.

Was genau macht Ihrer Meinung nach das Festival auch nach 15 Jahren noch attraktiv und ist es immer noch erfolgreich?

Das ist eine gute Frage, da ich jetzt das erste Mal mit dabei bin, kann ich das nicht so gut beurteilen. Aber wenn Sie sagen 15 Jahre, denke ich mal, dass es schon sehr erfolgreich ist und dann ist es genau das, was Sie am Anfang gesagt haben. Diese vielen jungen internationalen Musiker, die sich hier in Berlin treffen, um gemeinsam zu musizieren. Das ist sicherlich für das Publikum eine spannende Angelegenheit.

Wie oft war den die Deutsche Streicherphilharmonie schon dabei?

Die Deutsche Streicherphilharmonie spielt das dritte Mal bei diesem Festival. Für mich, als Dirigent, ist es eine Premiere. Mein Vorgänger, Michael Sanderling, war zuvor dabei.

Sie unterrichten ja auch selbst das Geigespielen. Wie sehr hilft Ihnen hier dieser Beruf bzw. diese Erfahrung ?

Das ist eine Streicherphilharmonie. Wir sind heute 63 bis 64 Streicher und allein 35 Geigen - das ist ja schon die Hälfte des Orchesters. Das musikalische Atmen mit dem Streichbogen ist etwas, was ich seit 45 Jahren schon selbst tue und ich hoffe, dass ich die Erfahrung, die sich nach vielen Proben und Konzerten in der ganzen Welt und dem Zusammenspiel mit dem Kollegen zu Hause in Dresden und Kollegen aus der ganzen Welt gebildet hat, weitergeben kann. Für mich ist das auch ganz spannend, weil mich das selbst total jung hält. Ich reflektiere ja auch und von den jungen Leuten bekomme ich dann auch Ideen, damit ich selber in meinem Geigenspiel und in meiner Art zu musizieren oder auch Musik zu interpretieren, ein Stück weiterkomme.

Was spielen Sie denn am liebsten und hören Sie am liebsten?

Als Geiger hat man natürlich unglaubliches Glück - noch dazu als erster Geiger. Da kann man herrlichste Musik spielen. Ich liebe Mozart. Ich spiele sehr oft alle 27 Klavier-Violinen-Sonaten von Mozart. Mozart ist einer meiner Lieblingskomponisten. Es gibt wirklich ganz wenige, die ich nicht mag und ehrlich gesagt: Heute früh, beim Frühstück lief eine wunderbare CD mit Adele. Fantastische Songs, die Musik höre ich sehr gerne. Ich bin gut befreundet mit Dirk Zöllner von der Rockband „Die Zöllner“. Neulich war ich wieder bei einem Konzert von ihm und die Musik von ihm, aber auch moderne, rockige Soulmusik hör ich sehr gerne. Aber mit Heavy Metal Musik hört bei mir der Spaß auf, da bin ich dann nicht mehr ganz so dabei. Das ist mir zu aggressiv und zu laut. (lacht)

Was nehmen Sie persönlich vom Festival dieses Jahr mit?

Ich könnte Ihnen die Frage in drei bis vier Stunden beantworten. Aber kurz gesagt: ganz viel Freude. Ich nehme mit, dass es für die Deutsche Streicherphilharmonie möglich ist, in einer Weltstadt, wie Berlin, an einem der besten Plätze, wie diesem Konzerthaus, ein klassisches Konzert zu spielen.

Sie kommen aus einer Musikerfamilie. Haben Sie denn jemals Druck von den Eltern oder unter den Geschwistern verspürt?

Also unter den Geschwistern nie, weil wir mit meinem Cello spielenden Bruder und meiner Flöte spielenden Schwester - wir hatten jetzt übrigens 40-jähriges Auftrittsjubiläum - schon immer seit unseren Kinderzeiten gerne zusammen aufgetreten sind. Druck nur in dem Sinne, dass meine Eltern bei uns allen dreien sehr darauf geachtet haben, die notwendige Zeit zum Üben, das ist eine sehr anstrengende und lange Zeit, aufzubringen. Druck ist das falsche Wort, aber sie haben einfach versucht, mich zu motivieren und haben das Ganze gut kontrolliert.

Also hat dies Ihre Berufswahl schon beeinflusst?

Ja, auf jeden Fall.

Was wären Sie denn damals lieber geworden ?

Ich habe ganz verrückte Traumberufe gehabt. Ich wollte in den Zirkus, Zirkusdompteur werden. Ich habe mich viel damit beschäftigt, wie man Löwen und Tiger dressiert und mich da in vielen Büchern belesen, wie man diese Raubtiere dazu bekommt, dass Sie einen nicht auffressen, sondern die Kunststücke vollbringen. Ich interessiere mich sehr für Altertumsforschung. Ich hätte mir gut vorstellen könne, in Griechenland oder im Iran Ausgrabungen zu machen. Ich habe schon als Kind sehr viel in der Historie gestöbert. Und Fußballer wäre ich gern geworden.

Haben Sie selbst Kinder?

Ja, eine Tochter, sie ist zehn Jahre alt. Sie spielt auch klassische Instrumente: Geige, Klavier, Querflöte. Sie singt gern und hört ihre eigene Pop-Musik, wobei wir immer versuchen ihr die Band ABBA näher zu bringen. Die findet sie gut, hört aber lieber ihre eigenen Lieder.

Würden Sie sich wünschen, dass sie auch mit der Klassik, so wie Sie selbst, weitermacht?

So lange sie Freude damit hat, würde ich mir das für sie wünschen, ja.

Hätten Sie denn als 5-Jähriger, als Sie mit dem Geigespielen angefangen haben, gedacht, dass Sie so viel Erfolg mit Ihrer Musik haben werden?

Naja als 5-Jähriger denkt man noch nicht so sehr daran, aber meine Eltern haben mich schon früh in Konzerte mitgenommen und ich habe schon als kleines Kind gespürt, was für ein schönes Gefühl das ist, auf der Bühne zu stehen. Als wir die großen Solisten gesehen und gehört haben, fand ich das ganz stark, wie die auf der Bühne standen und das Publikum begeistert haben. Das wollte ich auch können.

Sie haben in Chemnitz angefangen (1987-1996), sind dann nach Dresden gezogen und haben verschiedene CDs aufgenommen. Wohin, denken Sie, könnte Sie Ihr Weg noch führen?

(Überlegt): Die nächste Stufe zu erklimmen heißt, die Musik, die mich sehr ausfüllt, noch mehr zu erkennen und auch bei der Deutschen Streicherphilharmonie mit den jungen Leuten dieses Arbeiten an der Musik, das Präsentieren der Musik zu teilen, weiterzugeben und darüber nachzudenken, was dazu gehört, auf der Bühne zu sein und grade mit den jungen Leuten darüber zu sprechen, wie ein Publikum die Musiker sieht. Im Reich der umfassenden Musik, möchte ich weitere schöne Erkenntnisse gewinnen.

Wie Sie angesprochen haben, sind Sie seit drei Jahren in der Position des Chefdirigenten der Deutschen Streicherphilharmonie und haben dort viel mit Jugendlichen zu tun. Wie viel bedeutet Ihnen diese Arbeit?

Ganz viel. Diese Arbeit hat wirklich eine sehr große Priorität. Das sind fünf bis sieben Wochen im Jahr, die ich dafür reserviere und meinem Alltag wegnehme.

Wie sieht denn Ihr Alltag normalerweise aus?

Ich bin Frühaufsteher, was für Musiker ungewöhnlich ist. Ich liebe den Morgen und die erwachende Natur. Ich bin gar nicht so ein Nachtmensch. Ich kenne zwar viele Kollegen, die bis nachts um zwei arbeiten. Aber das sieht so aus, dass ich schon um sechs Uhr oder halb sieben morgens am Instrument stehe oder über einer Partitur arbeite, weil ich das Gefühl habe, dass ich am Morgen am meisten Energie habe und am frischesten bin.

Haben Sie eigentlich bedenken, dass die Klassik durch präferierte Musikgenres aus der heutigen Zeit verdrängt werden könnte?

Nein, da habe ich überhaupt keine Bedenken. Es ist nur so, dass heute alles viel vielfältiger geworden ist. Diese und jene Musik und moderne, alte und viel bunte Musik. Ich glaube, die klassische Musik ist ein Naturgut. Man kann den Beethoven nicht verdrängen, den Mozart nicht verdrängen, man kann den Tschaikowski nicht verdrängen. Ich bin viel mehr der Überzeugung, es liegt an uns klassischen Musikern, wie wir diese klassische Musik ans Publikum weitergeben können. Es wird oft gesagt, klassische Musik sei am Ende, aber damit hab ich bis jetzt nicht die Erfahrung gemacht.

Wie sehr denken Sie, könnte das YEC die heutige Jugend beeinflussen?

Wenn sich Jugendliche wirklich klassischer Musik widmen, ein zweistündiges Konzert mit klassischer Musik anhören, dafür die Geduld aufbringen können, ist das toll. Durch die durchschnittlichen Pop-Songs sind die meisten jungen Menschen ja an eine Songlänge von drei Minuten gewöhnt. Aber unsere Sinfonie dauert nun mal 30 Minuten, das kann anstrengend sein, aber wenn man die Geduld hat, ergreift das jeden Menschen.

Denken Sie, dass Sie im nächsten Jahr wieder dabei sein können?

Liebend gerne.

Alles klar. Viele Dank für Ihre Zeit.