Das Leben ist zu kurz für irgendwann

von
am 15.08.2022

Buchrezension "Das Leben ist zu kurz für irgendwann" von Ciara Geraghty

Hast du jemals darüber nachgedacht, was nach dem Tod kommen könnte? Ich weiß - mir geht’s ähnlich bei dem Thema. Irgendwie ist das ja so eine Sache, die einem immer hinterherjagen wird, obwohl es sich eigentlich nicht lohnt, davor wegzurennen. Der Tod ist und bleibt wohl eines der wenigen Dinge in unserem Dasein, was absolut sicher ist. Und das, obwohl die Frage, was nach unserem Ableben kommen mag, im Gegensatz zum unausweichbaren Eintritt des Todes voller Ungewissheit geprägt ist.

Ich habe schon einmal einen Artikel über den Tod geschrieben, und obwohl ich stets versuche, mit Zuversicht in die Natur der Dinge zu blicken, gehört der Tod dennoch zu einer meiner größten Ängste. Alles, was unser Leben ausmacht - unsere Hoffnungen, Bemühungen, Beziehungen und vor allem unsere ganz persönlichen Vermächtnisse - führen letzten Endes auf die Frage der Endlichkeit hin. Zeit ist unendlich, und auch nicht ganz; für uns ist Zeit im Sinne eines Momentum die einzige Chance, im Hier und Jetzt das volle Potential aus unserem Leben zu schöpfen. Viel bleibt uns aber von der Größendimension der Zeit, alsbald wir das Licht der Welt erblicken, nicht wirklich. 

Deshalb ist es so wichtig und unbezahlbar, am Leben zu sein. Und damit meine ich auch, trotz den alltäglichen Schwierigkeiten und größeren Hürden weiterzumachen und wirklich da zu sein, aktiv am Leben teilzunehmen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan… ich  habe selbst Erfahrungen mit Krankheiten & Co. gemacht, bin also auf meine individuelle Art und Weise vertraut mit Leid, Sorgen und Belastungen. Erst letztens hatte ich wieder eine etwas schwierige Phase hinter mir, nachdem ich unter den offensichtlich nicht so günstigen Umständen alleine in eine neue Stadt gezogen bin und seitdem vor einem Berg an neuen Herausforderungen und Verpflichtungen stehe. 

Eines Nachts habe ich (wie so immer spät & einem wirklich anstrengenden Tag folgend) nach einem Buch aus meinem frischen, aber viel zu klobig gebauten Regal gegriffen und angefangen zu lesen. Wenn ich in die Welt der Bücher eintauche, kann ich endlich Stress von mir abfallen lassen und vergesse alles um mich herum. Und so steckte meine auch noch verschnupfte Nase tief zwischen den Buchseiten von Ciara Geraghty’s „Das Leben ist zu kurz für irgendwann”.

Das wunderschöne Buchcover mit den floralen Illustrationen lädt zum Träumen ein. 

Dein Weg ist mein

Der Titel ist catchy, die Idee vielversprechend: Wir verfolgen das bescheidene und schlichte Leben der beiden irischen Protagonisten Terry Shepherd und Iris Armstrong, welche eine enge Freundschaft verbindet. Zwei gewöhnliche Frauen mittleren Alters, könnte man so auf den ersten Blick meinen. Doch tatsächlich finden sich unter der Oberflächen zwei interessante Persönlichkeiten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. 

Terry ist tüchtig, verantwortungsbewusst und klärt alles auf den Punkt genau, auf sie ist immer Verlass. Als Mutter von zwei Kindern und fürsorgliche Ehefrau weiß sie stets, was zu tun ist - wenn auch unter Daueranspannung. Iris hingegen ist Leben pur, sie strotzt nur so vor Selbstbewusstsein und Leichtigkeit. Das gewisse Laissez-faire, von dem jeden von uns träumt; Iris Armstrong weiß, was sie will. 

Zwei Erlebniswelten, die kollidieren - wie passt das? Dass diese besondere Freundschaft sich einigen Herausforderungen stellen muss, ist wohl unumgänglich. Um eine besonders harte Probe dreht es sich auch in dieser Geschichte, denn die sonst so energetische Iris ist krank. Eine ernsthafte Krankheit, die so schonungslos ihr Leben einnimmt, dass sie beschließt, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Die selbstbestimmte Frau weiß sich das zu nehmen, was sie im Leben will. Selbst wenn es bedeutet, über das Ende ihres eigenen Lebens zu entscheiden. 

Für ihre Freundin ist das ein Schock. Tief sitzt die Verzweiflung bei Terry, als sie von Iris’ Plänen Wind bekommt. Was kann sie tun? Wie soll sie Iris davon abhalten, diese gravierende Entscheidung und die unumkehrbaren Konsequenzen auszuführen? „DENK SCHNELL”, geht es ihr oftmals durch den Kopf. “DENK SCHNELL”, wie Terry immer alles kalkuliert. Und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als Hals über Kopf alles nötige zusammenzupacken und Iris abzufangen. Und das auch noch ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo sie die primäre Bezugsperson ist für ihren pflegebedürftigen Vater, der an Demenz leidet und dem die ganze Hektik sicherlich nicht ganz geheuer ist. 

Doch diesmal ist es Terry, die sich ihrer selbst ganz sicher ist. Obwohl es zur hitzigen Diskussion kommt und sie ihre erkrankte Freundin nicht umstimmen kann, ist für sie klar, dass sie Iris nicht so schnell aufgibt. Völlig spontan und zum Erstaunen der sonst so nicht sprachlosen Iris beschließt Terry, ihre beste Freundin auf den Weg in die Schweiz zu begleiten. Diesmal ist vor allem sie es, die sich nicht umstimmen oder abschütteln lässt. Und somit brechen diese zwei Frauen mitsamt Terrys Vater in ein turbulentes Abenteuer auf, das sie sich nicht ansatzweise im Vorhinein hätten erahnen können. 

Iris' Armstrong Brief an Terry Shepherd.

Und am Ende steht ein Anfang

An dieser Stelle möchte ich nicht viel weiter auf den inhaltlichen Aspekt eingehen, dieser Magie müsst ihr wohl selbst nachgehen. Aber es sei soviel gesagt: Dies ist nicht eine Geschichte, wie ihr es euch typischerweise vorstellt. Es geht nicht darum, dass unglaubliche und gar unrealistische Dinge auf dieser Reise passieren. Nein, von einem Abenteuer voll von Action kann hier nicht die Rede sein. Aber das, was uns Ciara Geraghty vor Augen führt, ist viel simpler: Es ist das pure Glück des Lebens. 

Glück bedeutet nicht, dass alles gut läuft. Glück bedeutet auch nicht, dass es immer ein Happy End gibt. Es fließen Tränen, es werden Vorwürfe an den Kopf geworfen; aber genauso wird viel gelacht, getanzt und die kleinen Dinge des Lebens in vollsten Zügen genossen. Man kann sich einfach das ein oder andere Lächeln nicht verkneifen, während man in diese besondere Gefühlswelt von Terry Shepherd, dessen Perspektive wiedergegeben wird, eintaucht. 

Man möge meinen, dass Terry wohl die gewöhnlichste Frau auf der Erde ist, die man sich so stereotypisch vorstellen kann. Sie kennt ihren Platz in dieser Welt und weiß, sich dort einzurichten. Doch auf dieser Odyssee zu das, was das Ende für Iris bedeuten soll, findet sie einen Weg in ihr innerstes Selbst. Raus aus der Komfortzone, raus aus den Erwartungen und vor allem raus aus den Selbstzweifeln lernt Terry, was wirklich wichtig ist für sie - und dass sie sich auch mal für sich selbst entscheiden muss, bevor sie für andere da sein kann. 

Eigentlich steht Iris’ Leben im Mittelpunkt, ihr Freitod soll verhindert werden. Doch dadurch, dass wir diesen Konflikt durch Terrys Augen erleben, lernen wir eine Sache: Es ist wichtig, eigene Entscheidungen zu treffen und zu sich selbst zu stehen. Iris Armstrong verkörpert in ihrem ganzen Wesen all die Lebendigkeit und Willenskraft, mit denen sich Terry bis dato nicht mal ansatzweise vergleichen konnte. Doch durch das langsame, aber sichere Erlöschen von Iris’ Licht lernt sie, dass sie nun das Licht des Lebens in sich selbst finden und weitertragen muss. Eine Quelle des Lebens, die schon immer in ihr da war.

Autorenprofil von Ciara Geragthy.

Über die Zeit hinaus

„Das Leben ist zu kurz für irgendwann” von Ciara Geraghty ist eine herzerwärmende Erzählung über die Liebe zum Leben und macht seinem Titel allen Ehren. Wie ich es eingangs gesagt habe, ist die Zeit selbst eine Geschichte der Unendlichkeit; aber irgendwie scheint sie doch ihre Grenzen zu haben. Irgendwie ist es eines dieser Dinge, die ungreifbar und nicht wirklich erklärbar sind, und doch steckt so viel Gewissheit in diesem Gefühl des Momentum. 

Ich finde, dass mit diesem Roman die zugrundeliegende Message sehr einfühlsam vermittelt wird: Lebt das Leben, genießt dieses Geschenk! Geraghty nimmt uns mit auf eine Reise, die eigentlich nirgendwo anders als in unserem Herz endet. Was ist uns wichtig? Was wollen wir vom Leben? Und worauf kommt es wirklich an? All diese Fragen schwirren einem durch denk Kopf, während man das Schicksal dieser starken Frauen verfolgt. 

Und irgendwo, inmitten der Höhen und Tiefen, findet sich die Schönheit in diesem traurigen Schicksal von Iris Armstrong. Ich frage mich manchmal, ob das eine Metapher sein könnte - ob das Ende eines Lebens und Aufleben eines Neuens eine Metapher dafür wäre, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich neu zu definieren. Vielleicht ist diese Freundschaft ein Spiegelbild unseres Lebens - die Freundschaft, die wir zu uns selbst hegen. Vielleicht geht es ja darum, die persönlichen Geschichten, die unser individuelles Leben schreibt, oder unsere eigenen Unzulänglichkeiten anzuerkennen, aber auch die damit verbundene Vergangenheit ruhen und hinter uns zu lassen.

Und somit endlich das Leben zu beginnen, von dem wir immer geträumt haben.

„Das Leben ist zu kurz für irgendwann” von Ciara Geraghty ist eine gefühlvolle Geschichte über das Wunder des Lebens und die Freundschaft von zwei Frauen, die die Zeit überdauert.

Hier erhält ihr alle Informationen zu dem Buch, das im Goldmann-Verlag erschienen ist!