Unser Tag auf dem Straßenfest der Gehörlosen

am 25.09.2018

Kennt ihr das, wenn ihr ein Fest betretet und ihr schlagartig ganz viele kleine Informationen über Fremde aufschnappt, weil ihr mehrere Gespräche auf einmal mit anhört: Seine Tochter hat jetzt gerade die Ausbildung beendet, ihr Hund hat ein Leckerli mit einer Klinge drin gefunden, diese beiden streiten sich heftig über Konflikte in fernen Ländern.

Für mich war das völlig selbstverständlich, bis zum 22.09.2018. An diesem Tag bin ich zur zweiten Veranstaltung des Projekts „Einblick in den Gehörlosen Alltag“ im Jugendclub „Sinneswandel“ gegangen. Das ganze Projekt wurde von Fatma und Juliane ins Leben gerufen, die beiden Schülerinnen haben alles eigenständig organisiert, die Gelder bei der Jugendjury Friedrichshain-Kreuzberg beantragt und für dieses Projekt gekämpft, um hörenden Jugendlichen einen Einblick in ihre Welt zu geben. Das erste Mal kam ich an einen Ort, wo ich nicht das Summen mehrerer Unterhaltungen gehört habe. Ich konnte nichts hören und nur sehen. Und ich beobachtete Konversationen in einer Sprache, die ich nicht beherrsche. Trotzdem sollte man nicht denken, dass es still war. Der Wind trug Lachen zu uns heran oder man hörte ein freudiges Juchzen, weil sich alte Freunde wiedersahen. Ich hörte keine Unterhaltung, wie sonst in meinem Leben, ich hörte Emotionen. Und das war alles, was ich verstand, wenn ich mir die Gespräche anschaute, die auf den aufgebauten Bänken stattfanden. In diesem Moment fragte ich mich, ob sich so taube Menschen fühlen, die sich unter Hörenden bewegen. Ist das, was sie mitbekommen, die Emotionen, die sich auf den Gesichtern breit macht, während sich Hörende unterhalten? Wir standen ein paar Minuten draußen bevor Fatma und Juliana, die Organisatorinnen des Projektes, uns abholten. Wir wurden gefragt, ob wir die anderen Hörenden, die kommen wollten schon entdeckt hätten. Ich war mir sicher, dass ich Stimmen gehört hatte, aber als ich mich umschaute, wurden Unterhaltungen nur auf Gebärdensprache geführt und ich war total verunsichert.

Als wir dann unsere Sachen im Jugendraum abgelegt hatten, wurde uns das Gebäude gezeigt und die verschiedenen Funktionen der Räume erklärt. Die Dolmetscher hatten manchmal Probleme uns zu sagen, was Fatma und Juliana erzählten, weil ständig Menschen zwischen uns durchgingen. Direkt habe ich mich gefragt, wie oft ich ungewollt eine Konversation gestört habe, weil ich die Sicht auf die Hände blockierte.

"Und jetzt ihr!" - die Challenges

Zurück im Jugendraum begannen unsere Challenges. Es waren Aufgaben bei denen wir uns intensiv mit dem gehörlosen Alltag und der Gebärdensprache auseinandersetzten. Als erstes kriegten wir On-ear Kopfhörer auf und laute Musik wurde gespielt. Dann bekam die Person, die uns gegenüber saß einen Zettel mit einem Wort (und später einem Satz) drauf. Dieser wurde dann vorgelesen und wir mussten probieren die Lippen zu lesen. Es war unglaublich schwierig, denn, wenn der Mund geschlossen war, wusste man immer noch nicht, ob es nun ein "B", ein "M" oder ein "P" war. Auch "S" und "Z" haben eine ähnliche Mundbewegung. Wenn ihr mal nicht wisst, was ihr mit euren Freunden machen sollt, probiert es aus. Es war lustig, was man verstanden hat. Auch interessant war, wie man unterschiedlich gut von verschiedenen Leuten lesen konnte. Juliana und Fatma haben uns erzählt, dass ganz viele Hörende einfach erwarten, dass Gehörlose perfekt ihre Lippen lesen können. Sie machen sich keine Gedanken darüber, wie schwierig das eigentlich ist. Danach wurde der Galileoclip „Der größte Teenager der Welt“ angemacht. Und dieser informative Clip wurde ganz schön schnell zu einem Kampf, denn ohne Ton verstanden wir gar nichts. Am Anfang hätte man probieren können, Lippen zu lesen, aber wie wir davor schon feststellten, war das alles andere als einfach. Und dann sah man Jugendliche Basketball spielen und ich wusste, dass in einem Voice-Over von dem Teenager erzählt wurde, aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung was. Von 10 Minuten Video bekam ich mit, dass der Teenager 2,31 groß ist und Geneva, Ohio lebte. An diese Informationen konnte ich auch nur gelangen, weil sie schriftlich aufgeführt waren. Es war erschreckend. Juliana hat uns erklärt, dass man im Kino Untertitel kriegen kann. Auf dem Handy. Heißt man muss ständig hin- und herschauen und verpasst so ein Großteil des Filmes. Auch im Fernsehen gibt es kaum Untertitel. Fatma hat uns erzählt, dass es mal eine Aktion gab: #WirbrauchenUntertitel. Ich habe es gegoogelt. 2016 gab es diesen Hashtag und ich hatte noch nie davon gehört. Ich war entsetzt. Wie kann es sein, dass so eine große Aktion an mir vorbeigegangen ist, nur weil ich hören kann. Und die größere Frage: Wieso hat sich trotzdem nichts verändert seit dem?

Und dann kam die letzte Challenge. Juliane und Fatma haben Gebärden gemacht und wir mussten probieren zu erraten, was sie bedeuten. Wir haben probiert die Bewegungen zu verstehen, die Lippen zu lesen und trotzdem wurde aus „unterwegs“ „Unterwasser“. Das Lautbild ist ähnlich, aber die Wörter haben nichts gemein. Ich kann sagen, dass ich nicht mal einigermaßen gut klar käme, wenn ich probieren müsste mich durch einen gehörlosen Alltag zu navigieren. Doch viele Gehörlose schaffen es jeden Tag wieder aufs Neue in einer Welt, die sich auf Hörende fixiert hat, zu leben. Und genau davor verdienen sie unglaublich viel Respekt!

Einblick in den Gehörlosen-Alltag

Das Projekt „Einblick in den Gehörlosen-Alltag“, mit insgesammt vier Veranstaltungen rund ums Thema Gehörlosigkeit, wurde von Fatma & Juliana, zwei gehörlosen Jugendlichen, ins Leben gerufen. Sie möchten jungen hörenden Leuten im Alter von 15-25 Jahren ihre gehörlose Welt näher bringen. Das Projekt wird durch die Jugendjury Friedrichshain- Kreuzberg gefördert. Diese Jury unterstützt finanziell Projektideen von Kindern und Jugendlichen im Alter von 11-27 Jahren und wird umgesetz im Rahmen des Jugend-Demokratiefonds Berlin, "STARKgemacht! - Jugend nimmt Einfluss".

von Sophia

Unser Besuch bei Yomma

Als Sophia und ich von dem Projekt „Einblick in den Gehörlosen Alltag“ gehört haben, waren wir gleich hochmotiviert und haben versucht, unsere Namen und ein paar Grundlagen auf Gebärdensprache zu lernen. Wir wussten, unser Interesse ist groß, wir möchten gerne dahin.

von Elisa