Mental Health: Das Erste-Hilfe-Paket

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am 12.08.2020

Psychologische Erste Hilfe ist essentiell für den gepflegten Umgang mit seelischer Gesundheit.

Wenn man vor einem Problem steht und nicht weiter weiß, kann es passieren, dass man sich sehr hilflos und orientierungslos vorkommt. Gerade bei einem sehr komplexen Thema wie Mental Health, über das viele Menschen nicht viel wissen - bzw. sich nicht seriös damit auseinandergesetzt haben - kommt man schnell an den Punkt an, an dem Vieles unbekannt, unklar und verwirrend ist. Wie gehe ich mit meinen Gefühlen um? Was machen psychische Belastungen mit mir? Wie finde ich eine optimale Lösung, um meine Situation zu erleichtern? 

Das sind wesentliche Fragen, um den situativen Konflikt herum. Doch was kannst du tun, wenn du emotional überfordert bist und dich in einem akuten Zustand befindest? Wie kannst du Freund*innen, Bekannten oder sogar Familienangehörigen zur Seite stehen, wenn alles einfach zu viel wird? 

Hier findest du einen kleinen Guide für Situationen, in denen du deinen Liebsten (oder auch deinen Nächsten) emotionale Unterstützung bieten kannst, wenn es mit Panikattacken, Niedergeschlagenheit & Co. brenzlig wird.

Bitte denkt daran:

Ich bin keine ausgebildete Psychologin und greife mit meinen Tipps lediglich auf alltägliche Erfahrung zurück. 

Wendet euch für professionelle Hilfe am besten an eure*n Hausärzt*in oder Therapeut*in.

Solltet ihr oder ein*e Nahestehende*r von euch in einer akuten Krise stecken, kontaktiert die Telefonseelsorge Berlin e.V. unter 0800 111 0 111 oder geht zu einem Krankenhaus in eurer Nähe.

Zu allererst: Warum “Emotional First Aid”?

“Emotional First Aid” - also emotionale/psychologische Erste Hilfe - ist sehr wichtig, um sofort und wirksam mit entsprechende Maßnahmen auf mentale Belastungen reagieren zu können. Erste Hilfe ist ein allgegenwärtiger Begriff, der wahrscheinlich für niemanden unbekannt ist. Doch oft denken wir bei diesen Wörtern in erster Linie daran, sich um körperliche Bedürfnisse zu kümmern. 

Tatsächlich spielt aber - wie ich es schon mal in diesem Artikel erwähnt habe - die Psyche eine große Rolle, da diese mit dem Körper ein einheitliches System bildet, welches versorgt werden muss. Deswegen ist es sehr wichtig, eine Balance zu schaffen und stets auch einen Blick auf die emotionalen Bedürfnisse zu haben. 

Leider lässt sich das mit dem Alltag nicht immer vereinbaren. Manchmal muss man einfach durchpowern, Vieles auf einmal schaffen und Dinge einfach erledigen. Es ist okay, sich temporär in so einem Zustand zu befinden und gestresst zu sein. Wenn aber die Müdigkeit und völlige Erschöpfung die Tagesordnung sind (oder einfach andere Probleme eine Rolle spielen bzw. dazu kommen), dann sollte man zumindest als vertraute*r Außenstehende*r diskret, aber bestimmt darauf aufmerksam machen. Ihr merkt: Egal ob es schon zu einem Ausnahmezustand kam oder es sich erst schleichend ankündigt, regelmäßig ein offenes Ohr anzubieten ist wichtig, um aktiv die Gesundheit andere*r zu unterstützen!

“Emotional First Aid” ist an sich ein sehr großes und weitreichendes Themenfeld, welches ich hier nicht in aller Einzelheit aufgreifen kann und werde. Ich möchte mich aber dennoch in diesem Artikel auf die Basics beziehen, mit denen man erstmal in eine Konversation kommen kann und ein Grundlage für psychologische Erste Hilfe schafft.

Tipp 1: Bietet euch an

Für die meisten Menschen ist es nicht einfach, über die eigenen Probleme zu sprechen. Wie ich es gerade erwähnt habe, verspürt manch eine*r manchmal das Gefühl im Alltag, wie auch im Beruf durchhalten zu müssen. Sich einzugestehen, dass man an eine Grenze stößt und die eigenen, energetischen Ressourcen begrenzt sind, empfinden einige Menschen leider (und vor allem fälschlicherweise) als Versagen. 

Im Endeffekt muss jede*r selbst entscheiden, über was er oder sie sprechen möchte und wie. Aber es ist eine große Hilfe zu wissen, dass man Anknüpfungspunkte hat und sich jemanden anvertrauen kann. Setzt Signale oder sprecht an, dass ihr da seid. Somit setzt ihr eure*m Gegenüber in Kenntnis, dass ihr offen und tolerant gegenüber sensiblen Themen seit.

Tipp 2: Ergreift die Initiative

An dieser Stelle muss betont werden: Bitte zwingt niemanden ein sehr persönliches Gespräch auf. Jede Person muss selbst dazu bereit sein, über sich und die eigenen Probleme zu sprechen. Jedoch macht es einen großen Unterschied, ob ihr passiv “eure Anteilnahme” anbietet oder ob ihr euch aktiv in diesem Austausch involviert. 

Also: Fragt nach! Hin und wieder ein einfaches “Wie fühlst du dich heute so?” oder “Gibt es etwas, was ich für dich tun kann oder was dich belastet?” ist nicht zu aufdringlich, stets angemessen und zeigt auch direkt, dass ihr euch für die Person mit eigener Tatkraft einsetzt, anstatt die emotionale Unterstützung nur theoretisch anzubieten. Es vermittelt das Gefühl, dass ihr wirklich helfen möchtet - und dass ihr auch in schwierigen Zeiten präsent seid. Diese Initiative wissen Menschen, die sich oft mit ihren Konflikten allein gelassen fühlen, sehr zu schätzen.

Kommunikation ist das A & O: Redet mit- und voneinander.

Tipp 3: Seid geduldig

Selbst wenn kein Redebedarf besteht und die Betroffenen sich unwohl fühlen: Respektiert diese Grenzen. Bestimmt möchtet auch ihr manches nicht mitteilen. Das kennen wir ja alle. Gebt der anderen Person Zeit und Raum, sich innerlich zu ordnen und über die eigenen Gefühlen klar zu werden. Bitte hakt nicht zu vehement nach, wenn ihr merkt, dass man euch eher ausweichen möchte. 

Und denkt daran: Möchte sich die Person euch (noch) nicht anvertrauen, so muss das nicht zwangsläufig etwas mit euch zu tun haben. Oft verspüren viele einfach nur etwas Verunsicherung diese Art von Nähe einzugehen. Bedrängt die Person nicht zu sehr mit einer Antwort, aber macht euch einmal kurz bemerkbar mit eurer Unterstützung. So weiß sie, dass sie und ihr Wohlbefinden euch nicht egal sind.

Tipp 4: Hört. Wirklich. Zu.

Ihr seid keine Experten und Perfektion kann niemand von euch erwarten. Aber bemüht euch, im Gespräch eurem Gegenüber entgegenzukommen. Sucht euch ein ruhigen Ort, an dem ihr nicht zu vielen Nebengeräuschen ausgesetzt seid und ihr geschützt und sicher sprechen könnt. Stellt dann noch am besten ein Glas Wasser oder warmes Tee bereit, insofern euch das möglich ist. Bevor ihr der Erzählung auf die einzelnen Probleme eingeht, versucht bitte erstmal, ohne großen Unterbrechungen oder dem Kundtun der eigenen Meinung zu zuhören. 

Vielen fällt eine große Last von der Schulter, wenn sie sich einfach erstmal aussprechen können. Wie eingangs erwähnt, fällt das den meisten nicht leicht. Lobt ihren Mut und sprecht es deutlich an, dass ihr das Vertrauen dir gegenüber schätzt. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und unterstützt sie guten Gewissens dabei, Hilfe anzunehmen. Wichtig ist, in diesem Dialog ihre Gefühle anzuerkennen - redet auch das ihnen gut zu.

Tipp 5: Bleibt respektvoll

Auch wenn ihr vielleicht nicht hundertprozentig derselben Meinung in einer Sache seid, anders reagieren würdet oder einfach das Problem nicht komplett nachvollziehen könnt, handelt es sich hier um die subjektive Wahrnehmung un d Empfindung einer anderen Person. Was diese Person für sich erlebt - sei es Wut, Trauer oder etwas anderes - ist mit Gefühlen verbunden, die erstmal da sind. Deswegen sollen diese nicht bewertet oder relativiert werden. Bleibt also tolerant gegenüber den Gefühlen der anderen und versucht das Problem außerhalb eures Wertesystems zu betrachten.

Bietet eure Hilfe an, wenn sie benötigt wird - man wird es euch danken.

Tipp 6: Seid ehrlich

Ich finde, dass es wichtig ist, stets ehrlich zu bleiben. Ihr könnt sensibilisiert und verständnisvoll sein für die Probleme eurer Mitmenschen, aber falls nach eurer Meinung gefragt wird, solltet ihr euch auch mal trauen, das Verhalten der Person zu reflektieren und im neutralen Ton darzulegen. 

Fehler machen ist okay, deswegen muss das kein Vorwurf für die Person bedeuten. Aber ich bin der Überzeugung, dass ein*e gute*r Freund*in eure Ehrlichkeit schätzen wird und dankbar ist, neue Sichtweisen zu kriegen, um das Problem vielseitig zu betrachten und schlussendlich für sich weitere Schritte in Richtung Lösung zu unternehmen. 

Achtung: Das erfordert viel Fingerspitzengefühl und muss, je nach Situation, definitiv nicht immer sein. Bleibt immer konstruktiv im Austausch und setzt den Fokus auf das Positive, wenn ihr einzelne Punkte ansprecht. Letzten Endes soll das Gespräch aufbauend sein und der Person, die sich euch anvertraut, insgesamt ein gutes Gefühl geben.

Tipp 7: Passt auch auf euch auf (!)

Auch möchte ich hier nochmal ausdrücklich betonen, dass ihr nicht  für das Problem einer anderen Person verantwortlich seid. Es wichtig und richtig, eine Ansprechperson zu sein und Unterstützung zu bieten, aber für alles weitere - abhängig von dem jeweiligen Problem und der Person - solltet ihr definitiv das Ruder an professionelle Fachkräfte weitergeben. 

Seid bedacht darauf, dass ihr euch authentisch für jemanden einsetzen und mitfühlen könnt, gleichzeitig aber auch emotionale Distanz bewahrt. Das ist einfach ungemein wichtig für eure eigene seelische Gesundheit und sollte, bei allem Edelmut, niemals für die Probleme anderer geopfert werden! 

Hier noch eine kleine Thought Bubble:

Versucht, immer mal wieder euch in die Lage der anderen Person zu versetzen: 

  • Wie würde ich mich fühlen, wenn ich eine persönliche Angelegenheit, die mich belastet, bei jemand anderen anspreche? 
  • Kann ich mich ungefiltert mitteilen? Was würde mich wohlfühlen lassen, damit ich einfach frei sprechen kann?
  • Was würde mir in diesem Moment gut tun zu hören? Was würde mich ganz arg stören?
  • Was könnte ich tun oder wo könnte ich professionelle Hilfe kriegen, wenn ich sie in Anspruch nehmen wollen würde? Wo könnte ich anfangen?

Wenn ihr euch vorstellt, wie ihr euch in der jeweiligen Lage fühlen würdet, dann könnt ihr viel besser Lösungsvorschläge machen. 

Überlegt euch also im Laufe des Gesprächs, was ihr für euch selbst mitnehmen könnt. Vielleicht reicht es für die Person, einmal durchzuatmen und alles aus sich raus zu quasseln. Wenn sie aber mehr benötigt, dann steht euren Liebsten auch später zur Seite und unterstützt sie, beispielsweise bei der Suche nach eine*m Therapeut*in o. ä., ohne dass es primär zu eurer Aufgabe wird.

Kindness doesn’t cost a thing

Letzten Endes könnt auch ihr jeden Tag eine kleine Sache tun, um anderen Menschen zu helfen. Nicht jede*r kann super emphatisch sein. Man sollte auf jeden Fall mit großer Vorsicht handeln und sich vor Augen halten, in wen und vor allem wie man Mühe investiert (!). Aber es kostet euch nichts eure Fühler auszustrecken und umsichtiger durch die Welt zu gehen. Ein bisschen mehr Freundlichkeit und Zugewandtheit zu geben, schadet niemanden. Wie man doch so gerne sagt: 

“Behandle andere genau so, wie du behandelt werden möchtest.”