Du bist, was du trägst

Vom 24. bis 30. April findet weltweit die Fashion Revolution Week statt. Eine Kampagne, die auf die schlechten Arbeits- und Produktionsbedingungen in der Textilindustrie aufmerksam machen möchte. Sie erinnert an den Einsturz einer Textilfabrik am 24. April 2013 in Bangladesch. Bei dem Unglück starben über Tausend Arbeiter*innen. Am Aktionstag (24. April) werden alle dazu aufgerufen, ihre Kleidung auf Links zu tragen und so das „Made in…“-Schild sichtbar zu machen. In den sozialen Netzwerken könnt ihr die Aktion unter #whomademyclothes verfolgen und selbst mitmachen. Warum es so wichtig ist, sein Einkaufsverhalten zu ändern, erklärt euch Marco!

VON MARCO

Tim ist ein typischer Student und verfügt auch über ein solches Budget. Natürlich freut er sich beim Passieren der Einkaufspassagen über verlockend günstige Angebote: T-Shirts, die manchmal nicht einmal 3 Euro kosten, Schuhe für 7 Euro oder Jacken für 15 Euro. Darüber leuchten Logos in schillernd blauen oder roten Farben der Modeläden von Primark oder H&M. Warum Tims neues T-Shirt gerade mal so viel kostet wie ein großer Döner, ist für ihn in diesem Moment irrelevant, er spart. Ein passabler Auftritt für wenig Geld, klingt im ersten Moment nach einer super Sache.

Dieses Denken ist, zum Glück, nicht in den Köpfen aller junger und alter Menschen verankert, aber leider locken Konzerne, die günstig Mode verkaufen, zu leicht den inneren „Sparfuchs“ im Konsumenten. Die Konzerne bieten diese Artikel nicht etwa so günstig an, weil sie eine besonders soziale Ader für den kleinen Verbraucher haben. Nein, die wahren Gründe für solch billige Preise sind hässliche und unangenehme Begleiter beim entspannten Flanieren durch die schillernden Einkaufsstraßen.

Wer stopft heute noch Socken?

Tim ist, so wie viele Verbraucher überall auf der Welt, in einem drastisch schnell rotierenden Kreislauf gefangen. Im Kreislauf von Fast Fashion. Firmen müssen immer mehr produzieren, um den Kunden zufrieden zu stellen.

Tim kauft nicht etwa unnachhaltig, weil er ein unmoralischer Mensch ist, sondern weil das Lockverhalten solch günstiger Angebote unsere unterschwellige Konsumlust befriedigt. Wir wollen immer mehr und trotzdem so wenig wie möglich ausgeben. Heutzutage kaufen wir T-Shirts, ziehen sie für ein paar Wochen oder Monate an, verlieren die Lust und schmeißen sie dann in den Müll: ,,Sie waren ja so günstig.“ Kaum jemand stopft heutzutage noch Socken oder repariert ein T-Shirt, der Aufwand dafür ist meist größer als ein neues T-Shirt zu kaufen. Außerdem macht Shoppen Spaß und der Kauf setzt das Glückshormon Endorphin frei, nicht umsonst stand in vielen ,,Freundebüchern’’ von jungen Schülern und Schülerinnen als eine der Lieblingsbeschäftigungen: Shoppen.

Kaufsucht ist ein allgegenwärtiges Problem. Experten gehen davon aus, dass mehr als 800.000 Deutsche von der Kaufsucht betroffen sind. Kaum wurde das neue T-Shirt drei Mal auf Partys, in der Uni, in der Schule oder beim Sport getragen, lockt das nächste Angebot. Der Wind der Veränderung dreht das Fast Fashion Karussell.

Fast Fashion

Doch was ist eigentlich Fast Fashion? Es gibt keine eindeutige Definition zu Fast Fashion. Zum einen meint man damit das schnelle Kopieren von Laufstegmodellen, zum anderen versteht man auch darunter Konzerne wie H&M, Asos oder Forever 21, die in kürzester Zeit neue Klamotten auf den Markt bringen, um damit das Konsumverhalten der Verbraucher zu befriedigen. Immer mehr Klamotten zu günstigen Preisen. Damit werden wir immer mehr in den Fast Fashion Zyklus gedrückt. Und das Bedürfnis der Konsumenten wird nie gestillt sein. Nur die Wenigsten machen sich wirklich Gedanken darüber, wie solche Preise entstehen können.

Du bist, was du trägst

Was tragen wir eigentlich? Wie kann es sein, dass wir zum Teil für ein gesundes, „Ökogericht“ mehr ausgeben müssen, als für ein Kleidungsstück etablierter Modemarken?

Es werden so viele verschiedene Chemikalien für die Produktion von Kleidungsstücken verwendet und viele dieser Stoffe bringen fatale Auswirkungen für unsere Umwelt mit sich. Eines der bekanntesten chemischen Mittel ist zum Beispiel AGENT ORANGE. Ein Entlaubungsmittel, was schon im Vietnam-Krieg vom U.S.-Militär eingesetzt wurde. Heute dient es zur Erleichterung beim Pflücken von Baumwollknospen. Rücksichtslos wird es über die reifen Baumwollfelder gesprüht, egal ob noch Arbeiter ihrer Tätigkeit vor Ort nachgehen.

Die Folgen für Umwelt und betroffene Menschen sind verheerend. Wo das Mittel zum Einsatz kam, stieg die Säuglingssterberate sowie die Anzahl der Krebserkrankungen der Menschen in der Umgebung. Doch nicht nur chemische Mittel schaden der Umwelt. Die meiste Baumwolle, die in Deutschland getragen wird, stammt aus Indien. Dort wird für einen Kilo Baumwolle bis zu 23.000 Liter Wasser benötigt. Wasser, das dringend für die Versorgung der Menschen gebraucht wird. So würden pro Jahr schon 256 Kubikkilometer Wasser was ausreichen, um die Gesamte Menschheit täglich mit 120 Litern Trinkwasser zu versorgen. Der Verbrauch von Wasser in der Modeindustrie ist enorm, doch im Laufe der Zeit sind, wenn auch schleichend, Veränderungen zu spüren. Die amerikanische Marke Levis hat damit begonnen, das Wasser aus der Produktion wieder zu recyceln. Die „Waterless Jeans“ verbraucht um 96 Prozent weniger Wasser in der Produktion, damit konnten bereits 172 Millionen Wasser eingespart werden. In der Levis Spring Collection 2012 wurden 13 Millionen Produkte mit der „Waterless Production“ hergestellt.

Laut der Homepage von Primark kann der von ihnen gemachte Preis nur dadurch entstehen, dass sie nur in großen Mengen produzieren und liefern. Doch wie kommt z.B. ein T-Shirt in den Shop am Alexanderplatz?

Von der Baumwollpflanze zu Primark

Alles beginnt mit der Baumwolle, die, wie schon oben erwähnt, in Indien, nachdem sie geerntet wurde, weiterverschifft wird zu den Produktionsstätten. Dort werden in Rekordzeit von Näher*innen unter fragwürdigen Bedingungen neue Klamotten für den europäischen Markt produziert. Danach geht es weiter zu den verschiedensten Häfen in Europa. Nicht selten werden diese Kleidungsstücke mit krebserregenden Mitteln behandelt, damit sie auf der Reise nicht anfangen zu schimmeln und zu riechen. Danach wird alles am Alexanderplatz auf die Wühltische gelegt und mit großen billigen Preisen angepriesen, woraufhin unser Beispielkonsument Tim beherzt zugreift und im Rausch der Massen ein „gutes Angebot“ nach dem Anderen ergattert. Im sicheren, schier behüteten Deutschland liegen die gekauften Güter in den Kommoden der Konsumenten. Aber wie kann eine Näherin in Bangladesch genug für ihre Familie verdienen, wenn wir nur drei Euro für das T Shirt zahlen?

Selbst nach all diesen Schritten verdienen die Firmen noch immer an ihren Artikeln. Wie sonst könnte sich z.B. Primark erlauben, 20 neue Filialen in Deutschland zu eröffnen? Doch wer trägt nun die Schuld daran? Die Konsumenten, die Firmen oder die Produktionsländer?

Wir erinnern uns an den Skandal des, nicht vollständig bewiesenen, eingestickten Hilferufs einer Näherin aus Bangladesch aus dem Jahr 2014: ,,gezwungen, stundenlang bis zur Erschöpfung zu arbeiten.“ Dies wirft natürlich ein schlechtes Licht auf die Großkonzerne, die billig ihre Mode verkaufen. Können also Größen wie z.B. Primark, New Yorker oder H&M einfach mit ihrem Kapital auf fairere Bedingungen umsteigen?

Wie in nahezu allen Bereichen der freien Marktwirtschaft gibt es Konkurrenten, die ebenso verlockende Angebote liefern. Natürlich stehen die Firmen unter Druck, denn der Konkurrenzkampf zwischen den Firmen ist groß, überall wo der eine Konzern Filialen aufmacht, verbucht der andere Rückschläge in den Verkaufszahlen. So die Angst, der Großunternehmer.

Doch wo können Konzerne nun einsparen? Produziert wird kaum noch in Europa. Die Rechte für Arbeiter werden regelmäßig geprüft: Mindestlöhne, Versicherung, sichere Arbeitsplätze usw. gehören, für „uns“ schon lange zum Standard. Und die kosten den Firmen Geld. Daher wird in Ländern produziert, wo solche Standards nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Die Näherinnen und Näher, die Arbeiter auf den Feldern, ja selbst viele Kinder aus den Schwellenländern oder aus den Staaten der sogenannten Dritten Welt bekommen Jobs, die sie zwar aus der Mittellosigkeit herausholen, jedoch gleichzeitig abhängig machen und so einen Teufelskreis bilden. Schlechte Bezahlung, lange Arbeitszeiten und unsichere, zum Teil gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen – so sieht ihr Alltag aus.

Was kann ich selbst tun?

Das waren viele düstere Fakten die Tim und viele andere Konsumenten gelesen oder gehört haben. Doch wie kann Tim, obwohl er nicht über das Budget verfügt, sein Kaufverhalten ändern und sich nachhaltigere und damit auch teurere Artikel leisten? Auch Personen mit einem schmalen Geldbeutel müssen nicht zwangsläufig billigere Produkte kaufen. Denn das Kaufverhalten ist eine der größten Ursachen.

Boykott ist eine lobenswerte Maßnahme, jedoch kann schon mit kleineren Schritten begonnen werden. Beispielsweise bieten Second Hand Shops nachhaltige Möglichkeiten, zu günstigen Preisen selbst Markenartikel zu erwerben. Die wenigsten Menschen brauchen einen voll ausgebauten, begehbaren Kleiderschrank, der voll ist mit T-Shirts und Hosen. Ein Textilprodukt ist schließlich keine Einwegware und kann durch Waschvorgänge öfters getragen werden.

Die Hose ist zu eng oder zu groß geworden, jedoch noch viel zu gut für die Mülltonne? Nutzt Kleidertauschbörsen im Netz und tauscht eure Kleidung. Wie wäre es mit einer Kleidertauschaktion im Freundeskreis? Wir können leicht etwas für die Nachhaltigkeit und Effektivität unseres Konsumverhaltens tun, wir müssen lediglich anfangen und dies ist meist der schwierigste Schritt.