R: Ladj Ly; F 2020; 105 Minuten
Der Film des französischen Filmemachers und Schauspielerns Ladj Ly erzählt die Geschichte des Polizist Stéphane, des Neulings in der Einheit für Verbrechensbekämpfung in Montfermeil. Er ließ sich vom Land in die Stadt versetzten, um näher bei seinem Sohn sein zu können. Bereits bei seinem ersten Einsatz mit den neuen Kollegen spürt Stéphane die Spannungen im Viertel, in dem es immer wieder zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Gangs und Polizei kommt. Seine erfahrenen Kollegen Chris und Gwada, mit denen er Streife fährt, haben ihre Methoden den Gesetzen der Straße angepasst. Hier herrschen eigene Regeln, die Kollegen überschreiten selbst die Grenzen des Legalen, sehen sich dabei aber stets im Recht. Als im Viertel ein Löwenbaby, das lebende Maskottchen eines Clan-Chefs, gestohlen wird, droht die Situation zu eskalieren. Bei der versuchten Verhaftung eines jugendlichen Verdächtigen werden die Polizisten mit Hilfe einer Drohne gefilmt. Ihr fragwürdiges Vorgehen droht öffentlich zu werden, und aus den Gesetzeshütern werden plötzlich Gejagte
In der aktuellen Situation um #BlackLivesMatter, den Protesten und der Polizeigewalt in der USA, könnte dieser Film aktueller nicht sein. Der Handlungsort befindet sich zwar in Frankreich, etwa 20 km östlich von Paris, jedoch ist das Thema Rassismus und Polizeigewalt auch hier sehr präsent. Allgemein wundert man sich über die Vorgehensweisen der zwei Polizisten Chris und Gwada, welche sich augenscheinlich gut mit den Kleinkriminellen der Gemeinde zu verstehen scheinen und ein ambivalentes Verhältnis zum Bürgermeister pflegen. Untereinander sind die Polizisten ebenfalls zu Späßen aufgelegt. Jeder Polizist bekommt einen zunächst etwas seltsam anmutenden Spitznamen, wie zum Beispiel Chris, der von vielen «rosa Schweinchen» genannt wird, weil er rosa Schweinefiguren sammelt.
Stéphane merkt man an, dass er mit den Handlungen und Gepflogenheiten in der Polizeidirektion zunächst nicht umgehen kann und ein wesentlich menschlicheres und verständnisvolleres Verhalten gewohnt ist. Er stellt den guten Polizisten dar, welcher mit Verständnis und Kommunikation agiert, an Stelle von Handgreiflichkeiten und Macho-Verhalten. Der Film ist sexistisch, rassistisch, anti-semitisch oder macht zumindest auf diese Probleme aufmerksam. So verhält sich Chris einer Gruppe junger Mädchen gegenüber respektlos, welche an der Bushaltestelle warten. Er fasst die junge Frau an und riecht an ihrer Hand. Als ihre Freundin ihr Handy zückt, um Chris‘ Vorgehensweise zu dokumentieren, schlägt dieser ihr das Handy aus der Hand, woraufhin es auf dem Boden zerspringt. Interessanterweise hatte ich in Teilen des Films eher das Gefühl, dass ich eine Dokumentation und keinen Spielfilm sehe. Nicht etwa, weil mit Voice-Over oder Interview Segmenten gearbeitet wurde, sondern eher, weil die Stimmung und Atmosphäre gedrückt war und zunächst die Handlung ohne Wertung im Fokus stand.
Der Film ist brutal und zeigt explizit Gewalt, wodurch sich die FSK von 16 Jahren erklären lässt. Ich bin der Meinung, dass diese FSK durchaus gerechtfertigt und sogar nötig ist, da selbst ich mit 21 Jahren zeitweilig vom Geschehen des Films überrollt wurde. Besonders in der letzten halben Stunde wird der Film nochmal sehr extrem. Meist ist nicht die gezeigte Gewalt das Problem, welches ein Gefühl von Unwohlsein in mir hervorrief, sondern viel mehr das Zusammenspiel zwischen aktuellen Ereignissen, eine Vielzahl an verschiedenen Reizen und der Handlung, welche der Film übermittelt. In Teilen ist der Film laut, weil die verschiedenen Parteien durcheinanderreden und man für einen Moment vom gezeigten Chaos verwirrt ist. Zudem sieht man als Zuschauer dem Geschehen handlungsunfähig zu.
DIE WÜTENDEN – LES MISÉRABLES ist kein Film für einfach mal zwischendurch, welchen man sich ansieht, wenn man einen gemütlichen Abend auf dem Sofa verbringen möchte. Es ist kein leichter Film, sondern einer, der vom Zuschauer verlangt, dass er aufmerksam zusieht und das Geschehen für sich selbst bewertet, jedoch auch die Hintergründe der Charaktere in diese Bewertung mit einfließen lässt. Dieser Film hinterlässt Eindruck und liegt noch längere Zeit schwer im Magen. Doch dieser Film ist auch wichtig und man sollte sich nicht durch die beschriebene Gewalt abschrecken lassen. Natürlich müsst ihr selbst entscheiden, ob dieser Film für euch mental aushaltbar ist. Ich kann euch nur sagen, dass mich dieser Film wirklich sehr beeindruckt, jedoch in gleichem Maße geschafft hat. Den Prix du jury auf dem Festival de Cannes, welchen der Film im letzten Jahr gewann, hat er sich definitiv verdient.