„Hörende Hände“ - Gedanken zu einem Werbevideo

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am 11.05.2017

EIN KOMMENTAR VON KAJA UND KATHARINA

„Hearing Hands“ (zu Deutsch „Hörende Hände“) wird das Video betitelt, auf das ich letztens beim Durchstöbern des Internets gestoßen bin. Viele von euch können mit diesem Titel wahrscheinlich erstmal nicht sehr viel anfangen. Vielleicht ein Buchtrailer zu einer Neuerscheinung, in dem Menschen mit ihren Händen hören? Oder worum geht es in diesem Video wirklich?

Im besagten Video macht „eine ganze Stadt“, wie viele Seiten schreiben, einem gehörlosen jungen Mann in Istanbul eine Freude, indem sie gebärden. Das Video ist allerdings ein Samsung Werbevideo für ein neues Videoanrufzentrum für Schwerhörige (ähnlich zu einer Kundenhotline).

Im ersten Moment fand ich das Video super toll und echt eine gute Aktion, doch dann habe ich mir ein YouTube-Video von Jesse Conrad, der selbst gehörlos ist, dazu angeschaut.

Klicke hier, um das Video zu starten! Bitte beachte, dass dann ggf. Nutzungsdaten an den Video-Provider (youtube, vimeo) übertragen werden.

Nur Glück für einen Tag

Er spricht davon, dass Samsung den größten Gewinn daraus zieht und dass sie mit ihrem Video zeigen, dass Hörende ja so toll sind, weil sie dem „armen“ Gehörlosen, der sich allein nicht zu helfen weiß, eine Freude machen. Des Weiteren spricht Jesse Conrad davon, dass die Hörenden nur für einen Tag mit Muharrem (dem Gehörlosen im Video) kommuniziert haben und nach dieser Aktion wieder zu ihrem normalen Alltag zurückkehren und danach „nie wieder“ Gebärdensprache anwenden. Laut Jesse Conrad wäre dieser eine besondere Tag für Muharrem sicherlich schön gewesen, doch nach diesem Tag wäre es fast noch grausamer, da wieder niemand mit ihm kommuniziert.

Besser eine andere Message senden

Jesse Conrad meint, dass man das Werbevideo ganz anders und mit besserer Intention hätte drehen können, ohne den Gedanken an Profit und das Mitleid. Er sagt, dass das Video ohne den Faktor der Überraschung, dass plötzlich vermeidlich jeder mit Muharrem kommuniziert, viel besser ausgekommen wäre. Muharrem wäre seinem normalen Alltag nachgegangen und hätte auf der Straße gebärdende Fremde getroffen. Die Aussage des Videos wäre dann gewesen, dass es doch eigentlich traurig ist, dass Hörenden dieser Zugang zur Kommunikation verwehrt bleibt: „Wir arbeiten daran, Hindernisse zu beseitigen und das solltet Ihr auch tun.“ Der Fokus des Videos würde vom armen Gehörlosen zu den hörenden Zuschauern gelenkt werden und was diese tun können. Das Video wäre beispielhaft dafür, dass Hörende einen Unterschied erreichen können, indem sie anfangen Gebärdensprache zu lernen, denn es ist nicht der Fehler der Gehörlosen, dass es Hindernisse in der Kommunikation gibt. Zudem impliziert gehörlos oder schwerhörig zu sein nicht automatisch kommunikative Hindernisse im Alltag, denn das Video zeigt, dass Hörende dazu in der Lage sind, Gebärdensprache zu lernen und mit Gebärden zu kommunizieren.

Ein Werbevideo als Inspirationsquelle?

Auf der einen Seite kann ich Jesse Conrads Standpunkt sehr gut nachvollziehen, allerdings finde ich das Werbevideo trotzdem irgendwie gut und inspirierend. Klar, habe ich auch einen anderen Zugang zu diesem Video, da ich nicht gehörlos bin, im Gegensatz zu Jesse Conrad. Allerdings würde ich auch über mich selbst sagen, dass ich nicht ganz unwissend bin in Bezug auf Gebärdensprache und Gehörlose, da meine Mutter mit Gehörlosen arbeitet. Ich interessiere mich für DGS (Deutsche Gebärdensprache) und möchte, wenn möglich, später selbst ein paar Sprachkurse dazu belegen.

Meiner Meinung nach hat es den Leuten in dem Video, die für Muharrem gebärden gelernt haben, gezeigt, was es für eine Freude für Gehörlose ist, wenn sie auf jemanden treffen, der gebärden kann. Das hat nichts damit zu tun, dass es seine Schuld ist oder dass man Gehörlosen helfen muss, sondern mehr dass WIR etwas ändern müssen und Gehörlose mehr in unseren Alltag integrieren sollten. Denn auch Gehörlose haben das Recht darauf, jemanden zum Reden zu haben. Ich bin der Meinung dass das Werbevideo trotzdem zeigt, dass man etwas ändern sollte – besser noch: MUSS. Zwar liegt der Fokus von Samsung immer noch auf ihrem Image und ihrem Profit, aber ich denke, es ist (leider) Alltag im Werbegeschäft, dass sich jedes Unternehmen möglichst gut darstellen will.

Weil ich mir so unsicher über meine Gedanken und Gefühle war, wollte ich mir noch eine zweite Meinung einholen und habe mich so an Katharina aus unserer Jugendredaktion gewandt. Katharina selbst ist schwerhörig und hat dementsprechend noch einen ganz anderen Bezug zu diesem Thema als ich. Also habe ich ihr kurzer Hand das Video gezeigt und sie nach ihrer Meinung dazu gefragt.

Katharinas Meinung (selbst hörbeeinträchtigt)

„Meine erste Reaktion beim Video war, dass ich lachen musste, weil ich es einfach schön fand, dass sie alle Gebärdensprache nur für ihn gelernt haben und dass er dann immer überrascht war, als sich jemand in Gebärdensprache bei ihm entschuldigte oder ihn begrüßte.

Aber dann kam ich ins Nachdenken, ähnlich wie der Mann, den du in deinem Artikel erwähnt hast, denn im Grunde wurde er nur überwacht und seine Reaktionen, seine Tätigkeiten wurden ohne sein Wissen gefilmt - eigentlich ein kritischer Ansatzpunkt und zudem dient das alles nur den Werbezwecken für das neue Call-Angebot für hörbeeinträchtigte Menschen.

Eine schöne Idee: Ja! Aber einfach schamlos die Gefühle eines Menschen dabei missbrauchen? Sowas ist meiner Meinung nach nicht okay. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen, die nur für diesen Werbetag (womöglich gegen Bezahlung) gebärden lernen, auch in Zukunft gebärden werden, ist wahrscheinlich eher gering.

Natürlich wäre dies schön, wenn es auch in Zukunft so bleiben würde, aber dies ist eine Illusion. Im Nachhinein betrachtet sind für mich die Tränen des Mannes am Ende des Video sowohl Freudentränen, aber auch Tränen, um das Wissen, dass diese Situation einmalig war und niemals nochmal auftreten wird. Also Enttäuschung.

Für mich, glaube ich, wäre es vielleicht auch eine Freude, einen solchen Tag zu erleben, aber wenn ich erfahren würde, aus welchem Grund, würde ich wahrscheinlich auch weinen – und ich wäre enttäuscht, dass immer noch nichts verstanden wurde.

Denn ich würde wissen, dass es nicht so bleibt."

Was haltet ihr von dem Video? Findet ihr so etwas gut oder seht ihr auch die Schwierigkeiten, die sich dadurch ergeben? Lasst uns das gerne mal wissen.

Und denkt daran, oft ist es so, dass Menschen durch die Gesellschaft in irgendeiner Form ihrer Individualität eingeschränkt werden. Denkt mal drüber nach!

Wer es noch nicht gesehen hat, das Samsung Werbevideo findet ihr hier:

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Was haltet ihr von dem Video? Findet ihr so etwas gut oder seht ihr auch die Schwierigkeiten, die sich dadurch ergeben? Lasst uns das gerne mal wissen.