Interview mit Carina Kühne zum Thema Gleichstellung und Inklusion

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am 08.05.2019

Down-Syndrom?

Ein Thema, bei dem vielleicht der ein oder andere nicht so richtig viel Ahnung hat. Was für Erfahrungen macht ein Betroffener, und wie genau verhält es sich eigentlich mit Trisonomie 21? Wir haben mal bei Schauspielerin und Aktivistin Carina Kühne nachgehakt!

1.) Carina, kannst du uns erstmal erklären, was Down-Syndrom/ Trisonomie 21 ist?

Trisomie 21 ist eine Chromosomenanomalie. Normalerweise hat man 46 Chromosomen. Bei Menschen mit einer Trisomie 21 ist das Chromosom 21 dreifach statt zweifach vorhanden.

2.) Ärzt*innen, Lehrer*innen, teilweise sogar Behörden und Ämter haben dir vieles nicht zugetraut. Dennoch hast du deinen Schulabschluss gut gemeistert. Woher hast du den Mut und die Kraft genommen, trotz Zweifel und Widerständen dein Ding durchzuziehen?

Manchmal war das nicht ganz einfach. Beim Sehtest in der Augenklinik hieß es: „Die hat das Down-Syndrom, die will nicht!“ Dabei konnte ich nicht sehen, weil ich eine Brille brauchte. Meine Mutter fragte einen anderen Augenarzt, ob es möglich wäre, meine Sehfähigkeit zu verbessern. Er meinte: „Für so Eine ist das schon gut genug!“

Als ich eine Zwangseinweisung in die Sonderschule bekam, bemühte sich meine Mutter um eine andere Lösung und fragte, ob es nicht möglich ist, dass ich erst mal die 4. Klasse wiederhole. Der Schulrat meinte: „Das ist nicht möglich, die würde sowieso niemals das Klassenziel erreichen.“

Meine Familie hat aber immer zu mir gehalten und mich unterstützt. Sie hat an mich geglaubt und mich auch sehr viel gelobt.

Mein Bruder war immer mein großes Vorbild. Ich wollte immer alles machen, was er gemacht hat. In der Schule wollte ich auch immer das machen, was die anderen Kinder gemacht haben. Wenn meine Lehrerin gesagt hat, dass ich das ja gar nicht könne, weil ich ja das Down-Syndrom habe, dachte ich: „Jetzt erst recht!“

3.) Nach der Schule hast du viele verschiedene Jobs und Praktikumsstellen gemacht, unter anderem in einem Kindergarten. Doch eine Ausbildung durftest du nicht anfangen. Warum? Und wie bist du mit damit umgegangen?

Für eine Ausbildung zur Erzieherin hätte ich einen Realschulabschluss gebraucht. Leider hatten wir einfach nicht mehr die Kraft nach dem Hauptschulabschluss weiter zu kämpfen, dass ich noch den Realschulabschluss machen konnte.

Im Waldorfkindergarten sollte ich aber angestellt werden und monatlich 100 € bekommen. Also habe ich über 100 Bewerbungen geschrieben.

Ich bekam dann gleichzeitig eine Zusage für zwei Ausbildungsplätze. Ich hätte in Aschaffenburg eine Ausbildung zur Kinderpflegerin machen können, eine Ausbildung, die in Hessen leider nicht anerkannt wurde. Deshalb habe ich mich leider falsch entschieden und an meinem Wohnort eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin angefangen. Dort wurde ich so sehr gemobbt, dass ich nach einem halben Jahr aufgehört habe.

 

4.) Letztendlich hast du deinen großen Traum verwirklicht: Schauspielerin werden! Wie ist es dazu gekommen? Gab es Stolpersteine auf dem Weg zum Ziel?

Eigentlich kam das für mich ganz unverhofft. Christina Schiewe hat mich im Internet entdeckt. Sie hatte meine Homepage und mein Blog  gelesen und mich gefragt, ob ich die Hauptrolle in ihrem Film spielen möchte.

5.) Christina Schiewe, Regisseurin deines ersten Spielfilms “BE MY BABY” (2014), lobte dich in hohen Tönen. Du hast ohne klassische Schauspielausbildung schnell gelernt und warst stets motiviert. Wie hast du selbst deinen Dreh für die erste große Rolle wahrgenommen?

Es war eine tolle Erfahrung für mich und hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Ich wusste gleich, dass ist mein Ding und das  möchte ich gerne weiterhin machen.

Als ich dann auch noch als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert war und der Film sechs Preise bekam, dachte ich: „An den roten Teppich, kann man sich gewöhnen!“

6.) Du selbst bezeichnest dein Leben als sehr abwechslungsreich. Unter anderem setzt du dich ja auch als Aktivistin und Botschafterin für Inklusion ein. Was genau bedeutet für dich Inklusion?

Ich bin ein Inklusionsfan. Ich habe immer inklusiv gelebt und wünsche mir natürlich auch Filmrollen, in denen ich das spielen kann. Inklusion bedeutet für mich Teilhabe sowie gemeinsam leben und gemeinsam lernen von Anfang an, nämlich im Kindergarten, in der Schule, im Wohnbereich und im Freizeitbereich. Wir Menschen mit Down-Syndrom gehören nämlich dazu. Die Medien haben da auch einen ganz großen Einfluss darauf, ob Inklusion gelingen kann.

7.) Wie engagierst du dich als Aktivistin und Botschafterin? Wo bist du unterwegs, und was machst du dabei genau?

Ich bin sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit bekomme, an Fernsehtalkshows und Podiumsdiskussionen teilzunehmen und mich gegen die Diskriminierung und für das Lebensrecht von Menschen mit Down-Syndrom einzusetzen. Außerdem halte ich Vorträge  zur Lehrerfortbildung und vor Studenten oder Schülern und biete Workshops an. Ich reise dann zu den verschiedenen Veranstaltungsorten oder für die Filme zu den Drehorten. Ich war schon in der Schweiz, in Italien, in Österreich, in der Tschechei und in vielen Orten in Deutschland. Meist verbinde ich die Dienstreisen damit, mir auch vor Ort die Sehenswürdigkeiten anzuschauen.

8.) Was machst du denn so in deiner Freizeit? Was sind deine Hobbys?

Meine Hobbies sind Klavier und Flöte spielen, tauchen, lesen, Geschichten schreiben, shoppen, schwimmen und fotografieren.

9.) Was möchtest du jungen Menschen mit auf den Weg geben, die so gar nicht wissen, wie sie mit dem Thema Down Syndrom umgehen sollen?

Eigentlich reicht es schon, wenn sie Menschen mit einer Trisomie 21 unvoreingenommen begegnen. Wir haben nämlich die gleichen Wünsche und Bedürfnisse und möchten gerne ganz normal behandelt werden. Down-Syndrom sollte gar kein Thema sein, sondern die Person dahinter.

10.) Und zum Schluss: Nenne drei Dinge, die du dir von der Zukunft wünschst!

Gesundheit für mich und meine Familie, gelebte Inklusion in allen Bereichen, besonders auch bei den Rollenangeboten und mein größter Wunsch ist es, dass ich einmal in einem wichtigen und interessanten Film nicht die Behinderte spielen muss.

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