Mein Evangelischer Kirchentag 2017

am 01.06.2017

Religion war schon immer ein Thema, das mich beschäftigt – in vielen Bereichen. Ich als Atheist aus einer Familie, in der ein Teil eher katholisch aufgewachsen ist, hatte es immer schwer, mich mit dem Glauben an etwas nicht offensichtliches auseinanderzusetzen und schon vom Kindesalter irgendwie zugehörig zu einer Religion zu sein, ohne sich mit deren Inhalten und Leitbildern auseinander zu setzen. Klar, hat man vor allem hier in modernen christlichen Gemeinschaften die Möglichkeit, aus der Kirche auszutreten, doch ist die Prägung mit religiösen Inhalten vom Kindesalter an schon ausschlaggebend für das spätere Leben. Meine kritische Haltung, besonders gegenüber der Katholischen Kirche, entstand aus dem Auftreten zahlreicher Päpste, die sich trotz zahlreicher Aids- und HIV-Toter gegen Verhütung aussprachen, da Sex an sich ja eine Sache sei, die lediglich der Fortpflanzung diene.

Der alle zwei Jahre stattfindende Kirchentag wird von der evangelischen Kirche veranstaltet, die in ihrer Ausrichtung in meinen Augen oft liberaler erscheint als andere. Auch bei Leuten aus dem Freundeskreis fallen mir manchmal Unterschiede zwischen katholischer und evangelischer Ausrichtung auf. Doch will ich das absolut nicht verallgemeinern und keine Debatte anfangen, ob die eine Religion jetzt besser sei als die andere... Von jeder Religion gibt es Leute mit unterschiedlicher Einstellung und Ausprägung. Das Grundgesetz legitimiert die freie Religionswahl und Ausübung und das ist für mich das Wichtigste.

Naja, wie auch immer, Religion hin oder her, dieses Jahr waren der Kirchentag bzw. die Tage in Berlin und Wittenberg. Zahlreiche Veranstaltungsorte über ganz Berlin gab es zu besichtigen. Einige von ihnen nur mit dem Kirchentagsticket, das einem beispielsweise Zutritt gab für das Messegelände in Charlottenburg. Ich hatte so ein Ticket nicht und habe deshalb probiert, mich so ein wenig umzuschauen. Mein Ziel war es nicht, mich bekehren zu lassen, sondern möglichst viele Eindrücke zu sammeln, um mir ein klares Bild von der Rolle der Religion in unserer Gesellschaft machen zu können. Wie konservativ ist Religion in Deutschland noch? Wie christlich ist die CDU? Und können AFDler auch gute Christen sein?

Wer sich vorstellt, dass der Kirchentag lediglich ein Fest der evangelischen Kirche und ihrer Gemeinden sei, wo es nur darum geht, gemeinsam Verse aus der Bibel vorzulesen, die Nächstenliebe und Luther zu feiern, hat ganz klar falsch gedacht. Vertreter vieler Religionsausrichtungen waren anzutreffen, vor allem auf dem Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte. Ein Dialog zwischen den Religionen sollte geschaffen werden, gerade in diesen Zeiten, in denen Terrorismus im Namen von Religion verübt wird, sich Glaubensgruppen in einzelnen Staaten isolieren und Gruppierungen unterschiedlicher Ausrichtung nicht nur im Nahen Osten, sondern auch hier in Deutschland aneinander geraten. Es war sehr interessant, sich mit Vertretern Muslimischer Gemeinden über den anstehenden Fastenmonat Ramadan zu unterhalten und sich ihre Meinungen anzuhören, wie beispielsweise die Zusammenarbeit verschiedener Religionen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse, vor allem in sozial schwachen Regionen, beitragen kann. Auch das Essen von einer afrikanischen Naturreligion, deren Namen ich leider vergessen habe, war sehr nice. #propsaneuch

Ebenfalls gab es auch zahlreiche politische Veranstaltungen, wo etwa mit Martin Schulz, Thomas de Maizière und Vertretern der AFD über die Rolle der Religion in der Deutschen Politik und Gesellschaft diskutiert wurde. Da ich leider kein Ticket hatte; konnte ich mir jene Veranstaltungen nicht anschauen. Ich war allerdings in der Lage; mich mit einigen Leuten über die oben genannten Fragen zu unterhalten. Ich möchte hierzu das Stimmungsbild ein wenig zusammenfassen.

Wie modern ist das Christentum hier in Deutschland?

Zu dieser Frage waren die Antworten sehr deutlich. Von vielen Leuten kam: „Das ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich“. Für die meisten war jedoch klar, dass gerade in den letzten Jahren eine Modernisierung der evangelischen Kirche stattgefunden hat. Auch ein paar ältere Katholiken meinten, dass das, was in den Kirchen heute gesprochen wird und wie Dinge Hand gehandhabt werden, sich sehr von ihrer damaligen Jugend in der Gemeinde unterscheidet.

Von einer jungen Frau aus einer hessischen Gemeinde bekam ich zu hören:

„Schau dich doch mal hier vor dem Tempodrom um, was ist hier bitte konservativ?“ Gesagt getan, neben Ständen, die über christliche Positionen zur Agrarindustrie und Massentierhaltung aufklärten, Musikern, die das Testament auf „cooler“ Jugendsprache rappten, einer coolen Aktion, in der man seine ganz eigene heutige Vorstellung von Luthers 95 Thesen auf eine Tür malte, fand ich auch einige Menschen, die über die christliche Sicht auf die Homo-Ehe aufklärten. Die Botschaft von ihnen war klar: Die Mehrheit der Deutschen spricht sich dafür aus, die Mehrheit der Christen auch. Die gesetzliche gleichgeschlechtliche Ehe ist auf jeden Fall vereinbar mit grundlegenden christlichen Werten. Das konservative Bild der Kirchen in Deutschland war für einige auf dem Kirchentag nur Illusion, gerade in jetzigen Zeiten, in denen Gemeinden ihre Türen für Geflüchtete öffnen, sehe man doch tatsächlich, wie wichtig die Kirche für die Willkommenskultur sei.

Eine Gruppe von Jugendlichen reagierte mit lautem Lachen auf die Frage, ob ihre Fahrten mit der Gemeinde immer ganz konform mit den traditionellen christlichen Sitten seien.

Wie christlich ist die CDU?

Nicht mehr wie einst. Anschließend zur Beantwortung der letzten Frage war auch das Thema gleichgeschlechtliche Ehe zentral. Die Position der CDU sei unchristlich und nicht mehr zeitgemäß. Dass die CDU offen für jeden ist, der die Würde, Freiheit und Gleichheit aller Menschen anerkennt, aber dann gleichzeitig sagt, dass Schwule und Lesben nicht heiraten dürfen, ist auch für mich fraglich. Wie das Stimmungsbild zu der Frage ist, bleibt für mich unklar. Als konfessionsübergreifende Partei kann es durch aus sein, dass Katholiken andere Standpunkte haben, als etwa die Protestanten hier auf dem Kirchentag. Die CDU wird allerdings nach Studien nicht mehrheitlich wegen ihrer religiösen Wurzeln gewählt. Da die CDU in vielen politischen Bereichen einfach demokratische Standpunkte vertritt, die nicht zwangsläufig auf religiösen Ausrichtungen basieren.

Können AFDler auch gute Christen sein?

Nein. No. Nao. Nie. Absolut nicht. Das war wohl die klarste Antwort und die, die mir am besten gefallen hat. „Das was die AFD sagt, hat mit christlicher Leitkultur nichts zu tun“, sagt ein Gemeindeleiter aus Hamburg. Wirklich für alle war die Antwort klar. Besonders junge Leute finden es beschämend, dass eine Partei, die Ausgrenzung und das Schaffen von Feindbildern vorantreibt, sich das Christentum als Leitbild ins Parteiprogramm schreibt.

Interessant waren die Kirchentage 2017 alle mal. Der „christliche Volksdance“ hat mich zwar eher weniger begeistert, doch war ich nach den drei Tagen in Berlin davon überzeugt, dass Religionen und besonders das Christentum aufgrund ihrer Größe und Popularität einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft ausmachen. Eine moderne Kirche wurde aufgezeigt, offen für Jugendliche, offen für Flüchtlinge und offen für Dialog in Zeiten der religiösen Konflikte und Isolation. Erst nach der Veranstaltung war mir so richtig klar, wie glücklich man eigentlich sein kann, dass man in einem Land lebt, in dem sich Konfessionen nicht feindlich gegenüberstehen, es keinen Krieg im Namen Allahs oder Jesus gibt und die Religionszugehörigkeit – Gott sei Dank – kein Grund dafür ist, sich zu hassen und aufeinander loszugehen. Dialog ist wichtig und solche Veranstaltungen wie der jährlich stattfindende Kirchentag fördern ihn und das gute Verhältnis zwischen den Konfessionen hier in Deutschland. Ich bin Julius und das war mein kleiner aber doch intensiver Kirchentag 2017.

Obama war übrigens auch ganz interessant.

Segnet Netflix und „Ben&Jerrys Icecream“ Amen.