"Der letzte Überlebende: Wie ich dem Holocaust entkam"

am 25.04.2017

Als die Nationalsozialisten in Polen einmarschierten

Sam Pivnik war gerade mal 13 Jahre alt, als die deutsche Wehrmacht am 1.September 1939 in Polen einmarschierte. Mit seiner Familie lebte er im oberschlesischen Städtchen Bedzin, bevor sein Leben, ebenso das Leben vieler weiterer Menschen, eine tragische Wendung nahm.

Aus seiner Stadt wurde ein Ghetto, und Sam, der damals noch "Szlamek" hieß, war mittendrin. "Innerhalb von sieben Tagen war die Welt, die wir kannten, verstanden und liebten, verschwunden", so schreibt Sam Pivnik in seiner mitreißenden Autobiografie "Der letzte Überlebende".

Sam Pivnik, ein Junge, der überlebte

Er überlebte jedoch nicht nur diese Extremsituation - Sam überstand auch das Grauen von Auschwitz, die skrupellose Selektion und die unmenschliche Zwangsarbeit. Auch die Todesmärsche der KZ-Häftlinge zum Ende des Zweiten Weltkrieges und letztlich sogar den Untergang der "Cap Arcona" in der Lübecker Bucht, bei dem britische Bomber aufgrund eines Irrtums das Schiff versenkten, auf dem sich evakuierte Häftlinge befanden, überstand er.

All das erlebte er in den kurzen und grausamen Jahren seiner Kindheit und Jugend. Unzählige Male entging er dem Tod durch Zufälle, Beziehungen und zuallererst unfassbares Glück.

Heute lebt Sam Pivnik in London, ist mittlerweile über 90 Jahre alt und hat es mit seiner Autobiografie nun endlich geschafft, seine kostbaren Erinnerungen für die Nachwelt festzuhalten.

"Der letzte Überlebende: Wie ich dem Holocaust entkam" - ausführlich, fesselnd und ergreifend

"Der letzte Überlebende" ist, wie ihr euch sicher denken könnt, keine leichte Lektüre für zwischendurch. In beeindruckender Ausführlichkeit wird hier das Schicksal eines jungen Menschen in fesselnder Detailgenauigkeit erzählt. Wenn es auch, verständlicher Weise, kleine Lücken in seiner Erinnerung gibt, so scheint man doch in jeder Situation neben Sam zu stehen, zu sehen und zu fühlen, was er gefühlt haben muss. Das gesamte Werk ist von intensiven Momentaufnahmen durchzogen, bei denen der Leser durch die ausführlichen Beschreibungen Einblicke in die Geschehnisse erhält, die bei Sam Gefühle und Gedanken auslösen.

Von Pivniks Schicksal zu lesen ist natürlich kein Genuss. Aber eben darin liegt sein Wert: Pivnik berührt und erschreckt zugleich, er mahnt und schafft ein Bewusstsein für das Unglück, das der Nationalsozialismus über die Menschen brachte.

Diese Autobiografie ist mehr als eine Geschichte

Ich habe schon viele Werke gelesen, die Schicksale dieser Zeit beschrieben haben, doch hat mich dieses Buch auf eine andere Art und Weise berührt, die ich kaum in Worte zu fassen vermag. Durchweg hatte ich das Gefühl, einem kleinen Jungen zuzuhören, der mir seine Geschichte erzählt. Hinzu kommt aber, dass dieses Buch mit enorm viel historischem Faktenwissen angereichert wurde, wodurch dieses individuelle Schicksal in größere Zusammenhänge eingeordnet wird. Zu erwähnen sind hierbei auch die Bilder, die Pivniks Weg zusätzlich illustrieren und gleichzeitig wertvolle Zeugnisse dieser vergangenen Zeit darstellen.

Lest Pivnik!

Für Menschen, die bereits mit diesem Abschnitt unserer Geschichte vertraut sind oder ernsthaft daran interessiert sind, mehr zu wissen, ist dieses Buch definitiv eine Bereicherung. Über ein reales Schicksal hinaus erfährt der Leser auch viel über bedeutende Namen, Daten und Ereignisse, die den Nationalsozialismus und letztlich die Nachkriegszeit prägten.

Ich kann mir gut vorstellen, dass dem einen oder anderen diese engmaschige Verknüpfung mit Kontextwissen stört, doch sollte man deshalb auf keinen Fall dieses Werk übergehen. Viel zu beeindruckend ist, was ihr von diesen fast 300 Seiten mitnehmen könnt.

Sam Pivniks Autobiografie kann ich euch also wirklich ans Herz legen.

Trotz alldem, was Pivnik als junger Mensch erleben musste, ist er heute unter uns und teilt seine Geschichte mit der Welt. Wenn man dies im Hinterkopf behält, also weiß, dass er überlebt, liest sich dieses Buch um einiges leichter, obwohl man nie vergessen darf, dass viel zu wenige Menschen diese Torturen überstanden haben.

Letztlich hat es mir auch wieder gezeigt, was für ein Glück wir haben, in der heutigen Zeit zu leben, was sich jeder von uns öfter mal ins Gedächtnis zurückrufen sollte.

Theiss Verlag: Briefe an Sam Pivnik

Für alle die Lust haben, noch mehr zu erfahren, möchte ich nun noch auf eine tolle Aktion des Verlages hinweisen:

Alle Leser haben die Möglichkeit, Sam zu schreiben und ihm ihre Gedanken mitzuteilen, die ihnen zu seiner Geschichte in den Sinn gekommen sind oder Fragen zu stellen, die noch offen sind. Diese Briefe werden dann auf https://schreibsamblog.wordpress.com veröffentlicht und sind ein wichtiges Zeichen dafür, dass Sams Geschichte und zugleich die Geschichte unzähliger anderer seiner Zeitgenossen gehört und geschätzt wird.