„Vor Sonnenaufgang“ im Theater an der Parkaue

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am 25.01.2018

Als Gerhard Hauptmann im Jahr 1889 sein naturalistisches Drama „Vor Sonnenaufgang“ uraufführte, spaltete sich die Meinung der Bevölkerung. Die verhältnismäßig offene Darstellung von (damaligen) Tabu-Themen wie Alkoholismus oder Inzest schockierte genauso viele Menschen, wie sie es auch begeisterte. Auch heutzutage ist das Stück nicht etwas für jedermann.

 

Die Frage nach der Werktreue

Die Handlung ist kurz und präzise. Hoffmann, der Ehemann der Tochter einer Bauernfamilie in Schlesien, bekommt Besuch seines ehemaligen Schulkameraden, Alfred Loth, aus Berlin. Hoffmanns Ehefrau Martha ist außerdem zum zweiten Mal schwanger. Während des kurzen Aufenthalts verliebt sich Loth in Hoffmanns Schwägerin, Helene, und plant eine gemeinsame Zukunft mit ihr. Der Plan, nach der Geburt des zweiten Kindes der Hoffmanns zusammen zu verschwinden, scheitert jedoch, als Loth von dem verstärkten Alkoholkonsum in der Familie mitbekommt. Durch den Verlust ihrer Liebe und der sich ausprägenden Angst vor ihrem Vater, welcher sie des Öfteren vergewaltigt hat, nimmt sich Helene schließlich ihr Leben.

Selbstverständlich fand im Theater an der Parkaue keine offene körperliche Interaktion auf der Bühne statt. Dennoch hat man das Gefühl, dass sich die Drehbuchautoren eher auf die unangenehmen Szenen des Dramas konzentriert haben, als tragende Geschichten auszuarbeiten. So blieb die Liebesgeschichte der beiden Protagonisten Loth (Tim Riedel) und Helene (Melina Borcherding) eher plump. Im Drama selbst durch ein spontanes Gespräch eingeleitet, weiß man bei dieser Inszenierung nicht, wann wer Gefühle entwickelt hat. Gefühlvolle Momente in fortgeschrittener Handlung wurden ersetzt durch zusammenhangslose Dialoge, die im übertriebenen französischen Dialekt geführt wurden. Auf der anderen Seite wurden aber auch durch Einlagen wie diese neuen Schwung in das Geschehen gebracht. Gerade weil „Vor Sonnenaufgang“ im Schulunterricht als Beispiel naturalistischer Dramen verwendet wird, und somit oft Schüler*innen in der Zielgruppe solcher Stücke stehen, sind Wandlungen und individuelle Interpretationen notwendig. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird besser gehalten, Schüler*innen werden bei Laune gehalten.

Es weckte den Eindruck, als wolle man sich nicht an Vorschriften halten und bricht deshalb an sich anbietenden Stellen die Vorlage. Drei Figuren werden von einem Schauspieler verkörpert, sodass man teilweise nicht weiß, mit wem man es gerade zu tun hat. Der Schauplatz, egal ob man sich gerade im Wald, im Esszimmer oder in anderen Räumlichkeiten befindet, ist stets der gleiche, auch die Requisiten wurden nicht verändert.

Die Umsetzung in den neuen Kontext

Währen der 90-minütigen Vorstellung wurde kontinuierlich bemerkbar, dass die Intention des Stückes nicht mehr ist, das Volk über Missstände in der Gesellschaft aufzuklären. Auch wurde gar nicht versucht, die Stimmung des 19. Jahrhunderts aufzugreifen. Die Figuren wurden nicht mehr durch Kleidung oder Sprache in eine soziale Klasse eingeordnet. Eher wurde hier über das Verhalten in den Dialogen entschieden, welche Stellung die Figur gerade hat. Ist sie wichtig? Wie ist ihr Verhältnis zu den anderen Personen? Wie sieht es im Inneren der Figur aus? Das alles konnte der Zuschauer eher erraten, als dass ihm ein Gefallen getan wurde und ihm durch offene Monologe der Sachverhalt geschildert wurde. So kam es auch, dass die weiblichen Figuren nicht mehr als schwache Glieder dargestellt wurden, sondern als welche, die zu sich stehen und versuchen, sich gegen Ungerechtigkeiten oder Übergriffe zu wehren. Allerdings verlor leider die Handlung dadurch ihren Sinn.

Zur Umsetzung und Darstellung der einzelnen Figuren lässt sich hinzufügen, dass die Schauspieler*innen an sich ein Griff in die Goldgrube waren. Man merkte die Hingabe zum Schauspiel, aber auch, wie sie die Stimmung im Saal genossen, ohne dabei aus ihrer Rolle rauszufallen. Unabhängig von ihrem Talent ist die Umsetzung ihrer jeweiligen Figur(en) ein anderes Thema. Iván Gallaro hatte dabei wohl am meisten Arbeit. Als Diener Eduard, Hausmädchen Miele und eine weitere Magd ein rosa Kostüm aus 90er-Jahre Hose und Küchenschürze zu tragen, mag nicht jedem liegen. Seiner Aufgabe, drei Figuren aus dem selben Stand zu spielen, ist er definitiv nachgegangen. Hervorheben kann man auch die Leistung des Hausarztes Dr. Schimmelpfennig, gespielt von Johannes Schäfer. Passend zur Gesamtleistung mit Leichtigkeit gespielt, wurde diese Figur wohl am passendsten aus der Vorlage übernommen, was den Charakter an sich, aber auch die Artikulation angeht.

Eine weitere Auffälligkeit war, dass alle anderen Charaktere rote Perücken trugen und sich auch vom Stil der Kleidung nicht großartig unterschieden. Dies führte zum einen zur Verwirrung der Zuschauer, allerdings regte sie es auch zur Interpretation an.

Warum 29 Aufführungen zu wenige sind

Der Fluch, ein altes Stück neu aufleben zulassen, besteht darin, dass es immer verglichen wird. Wer das Drama samt seiner Regieanweisungen gelesen hat, wird an vielen Stellen Grund zur Kritik finden. Allerdings hat die Inszenierung unter der Regie von Kay Wuschek einen guten Kompromiss zwischen purem Theater und Abbild des Originals getroffen. Von dem allgemeinen Verständnis, im Theater sei es abstrakt, hat sich das Stück teilweise sogar zu sehr beschützt. Der Handlung schadet es nicht, aber im Verhältnis zu anderen Inszenierungen hätte man da noch ein paar schräge Dinge hinzufügen können. Und damit sind nicht andere Schieflegungen wie die der Bühne gemeint.

Für Leute, die sich „Vor Sonnenaufgang“ gerne ohne große Veränderungen anschauen möchten, ist das Theater in der Parkaue eher weniger geeignet. Wer sonst gerne ins Theater geht oder im allgemeinen einen Sinn für abstrakte Kunst hat, für den sind die Stücke der Parkaue etwas. Auch für einen Familienausflug oder für Leute, die gern mal abseits vom Bildschirm unterhalten werden wollen, ist die Inszenierung empfehlenswert.

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