Paris Attacks – One Year Later – Tag 2

von
am 21.11.2016

3Tage war Abdu in Paris auf den Spuren der Terroranschläge vergangenen Jahres unterwegs, die er damals live miterlebte. Hier zeigt er Fotos und berichtet von seinen Eindrücken. Seinen Bericht von Tag 1 findet ihr hier.

8:30 Uhr am 15. November geht es los. Zuerst kurz zum Bäcker auf einen Café Crème und ein Croissant. Danach weiter zum Place de la République. Dort treffen wir uns mit Diana. Das Wetter ist unangenehm. Bewölkt und ab und zu nieselt es. Passt aber ganz gut zum Tag und zur Stimmung.

Zuerst geht es zum Bataclan. Die Trauerveranstaltung hat noch nicht begonnen, es herrscht Trubel. Die zahlreichen Journalisten werden auf Sprengstoff untersucht. Ein sehr süßer Sprengstoffhund schnüffelt die Kameras und Stative der Journalisten ab. Aus Respekt vor den Opfern, Zeugen und Hinterbliebenen soll am Haupteingang nicht fotografiert werden, woran sich alle halten.

Von der anderen Seite der Absperrung versuchen wir, die Ankunft von Hollande und weiteren wichtigen französischen Politikern zu beobachten und gegebenenfalls zu fotografieren. Einige Leute stehen auf den Bürgersteigen, um die Ankunft zu beobachten. Einige - in meinem Empfinden zu wenige - Polizisten sichern die Straße. Dann kommen die Politiker, es geht alles ziemlich schnell und schwupps sind sie im abgesperrten Bereich. Nach der langen Zeit in Regen und Kälte brauchen wir erst einmal einen Kaffee.

Anschließend beschließen wir, zum Stade de France, zum Fußballstadion, weiterzuziehen. Ich bin gespannt, wie es sein wird, wieder dort zu sein. Wie gut kann ich mich noch an das Stadion erinnern? Was wird mir dieser Ort eventuell ins Gedächtnis rufen? Wird am Stadion etwas los sein?

Knapp zwei Kilometer läuft man vom Bahnhof bis zum Stadion. Es ist ein komisches Gefühl, am Stadion entlangzugehen. Die Szenen vom Abend des 13. November 2015 spielen sich in meinem Kopf ab, wie Tausende Menschen verwirrt, verängstigt und/oder aufgelöst über das Gelände des Stadions tummelen. Ich erinnere mich wieder an das Gefühl von Unruhe. Doch dann stehe ich an jenem Ort und es gibt nichts davon: keine aufgelösten Menschen und kein Gefühl von Unruhe. Es ist ruhig. Vereinzelt fahren Autos am Stadion vorbei, Leute die vom Einkaufen kommen oder ins Kino gehen wollen. Es ist das genaue Gegenteil der Szenen, die sich mir täglich im Kopf abspielen, und ich bekomme das Gefühl, mich in diese Erinnerung reingesteigert zu haben, zweifle an mir selbst.

Angekommen an der Gedenktafel für den verstorbenen Sicherheitsmann des Stade de Frances werde ich nachdenklich. Es ist schwer zu begreifen, dass ich nicht einmal 200 Meter von einem Mord entfernt ein Fußballspiel angesehen haben soll. Dieser Gedanke geht nicht in meinen Kopf. Ich fühle mich schlecht, dass ein anderer Mensch mit seinem Leben für meine Sicherheit bezahlen musste und dennoch: Ich akzeptiere den Fakt, dass es geschehen ist; begreifen tu ich es aber nicht mal im Ansatz.

Weiter geht es kurz in unser Hotel etwas ausruhen und erste Bilder bearbeiten. Um 17 Uhr machen wir uns erneut auf den Weg zum Place de Republique, diesmal ist er gefüllt mit trauernden Menschen. Viele legen Blumen und Karikaturen nieder, zünden Kerzen an und trauern still und andächtig. Nach einiger Zeit gehen wir weiter zum Bataclan. Hiervor habe ich mich am meisten gescheut. Für mein Empfinden ist das der „Main-Spot“ des Horrors und, ja, die hier Trauernden wirken teilweise anders, man sieht ihnen an, dass sie nicht solidarisch trauern, trauern weil die Geschehnisse einfach traurig sind, sondern sie trauern, weil sie Angehörige, Freunde, Familie und Geliebte verloren haben. Ein Mensch, der weint, weil er emotional wirklich zerstört ist, weint anders als jemand, der sich einen traurigen Film anschaut.

Vote Darkside

Die Zeit vor und am Bataclan ist die intensivste und schwierigste Zeit in Paris. Nach einiger Zeit gehen wir noch einmal zum Place de la Republique, um zu schauen ob sich da noch etwas getan hat. Tatsächlich hören wir von weitem lautes Singen, welches sich nach Fußballfangesängen anhörte. Wir sollen Recht behalten. Um die 500 PSG (Paris-St. Germain) Fans sind auf dem Place versammelt, um einen Spontantrauerzug zum Bataclan und danach zum Café La Belle Equipe zu machen. Im Bataclan starb die Cousine des französischen Nationalspielers Lassana Diarra, im La Belle Equipe rette Ludovic Boumbas einer Frau das Leben, in dem er sich im Kugelhagel vor sie warf, und bezahlte gleichzeitig mit seinem. Extremsituationen bringen Helden hervor.

Zu unserem Erstaunen ist die Atmosphäre während des Trauerzuges extrem angenehm. Vorurteile, dass alle Ultras aggressiv wären, bestätigen sich während dieser Zeit absolut nicht. Trotz der Tatsache, das die Demo nicht angemeldet ist, lassen Polizisten die Gruppe ziehen und sperren zeitweise die Straße vor dem Bataclan, um den Trauerzug in Ruhe trauern zu lassen. Dieses Erlebnis macht mir eindrücklich bewusst, dass es eben nicht nur eine Art gibt, zu trauern. Man muss nicht leise und weinend Leuten gedenken, sondern kann auch den Verstorbenen zu Ehren brüllend und freudig durch die Straßen ziehen. Ich bin sehr froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, da sie mir, neben den sehr intensiven Momenten vor dem Bataclan, eine andere Sicht auf das Trauern gezeigt hat und mir persönlich im Umgang mit den Erlebnissen vom 13. November 2015 einen etwas anderen Umgang damit leichter gemacht hat. Der Trauerzug endet vor dem Café La Belle Equipe mit zwei Bengalos, welche eine sehr interessante Atmosphäre ausstrahlen, finde ich.

Nachdem vor dem Café nicht mehr allzu viel los ist, gehen wir noch einmal zum Stade de France, um meine Bilder, die ich am Abend der Anschläge gemacht habe, noch einmal zu machen. Er erstaunt mich, dass selbst zu dieser Uhrzeit, die Uhrzeit, zu der die Anschläge begannen, am Stadion überhaupt nichts los ist. Vereinzelt kreuzen Menschen unsere Wege, sie sehen aber nach normalem Sonntagabendverkehr aus und weniger wie Leute, die zum Trauern gekommen sind. Beim Fotografieren fällt mir auf, wie viel ich von diesem Abend doch schon wieder vergessen habe. Manche Teile der Straße oder auch Gebäude scheinen mir, als wäre ich noch nie zuvor da gewesen.

Nachdem die Fotos gemacht sind, brechen wir wieder Richtung Hotel auf. Vollkommen müde stehen wir am Bahnhof und warten auf den Zug, der sich verspätet, weil irgendwo ein personenloses Gepäckstück gefunden wurde. Doch ich bin zu erschöpft, um jetzt noch ängstlich oder nervös zu werden. Wird schon nichts sein, soll in Paris außerdem öfter mal passieren. Ist ja immerhin eine vergleichsweise große Stadt sein. Endlich im Hotel dann sofort ins Bett – ein Film zum Einschlafen , das gefühlt Tausendste Mal Fast Five also. Nichtmal zehn Minuten und ich schlafe ein. 14,5 Stunden laufen und sich dann noch die ganze Zeit mit einem so anstrengenden Thema befassen macht unglaublich müde.

Alles in allem war es ein unglaublich faszinierender Tag, emotional sehr intensiv und anstrengend, aber zugleich, denke ich, auch sehr wichtig und gut, um die Erlebnisse vernünftig verarbeiten zu können. Obwohl es ein paar Leute gibt, die der Meinung sind, dass es sehr viel Mut braucht, um so etwas zu tun, bin ich der Meinung, dass es nichts mit Mut, sondern eher etwas mit (emotionaler) Neugier zu tun hat. Im Vorhinein hatte ich große Bedenken, was meinen Trip nach Paris anging und zwischenzeitlich war ich auch sehr nervös, als wir in Paris waren.

Ich kann mich noch an eine Szene erinnern, da standen wir an der Absperrung zur Trauerfeier am Bataclan und eine Frau zog einen Koffer hinter sich her auf der Straße. Sie wechselte dann auf den Gehweg und der Koffer verursachte auf dem Gehweg ein regelmäßig dumpfes Knallen, was meine Gedanken sofort zu einem Sturmgewehr wandern ließ. Mein Herz schnellte in die Höhe und ich schaute mich schnell panisch um, bis ich dann bemerkte, dass es eben nur dieser Koffer war, der das Geräusch verursachte.

Ich glaube, bei der Entscheidung, diese Reise zu machen, war meine Neugier einfach größer als meine Angst.