Jugendforum Spandau 2020

am 17.12.2020
Eine Person sitzt vor einem PC und nimmt an einer online Besprechung teil

Das Jugendforum Spandau bietet Jugendlichen einen Rahmen, sich über ihre Anliegen miteinander auszutauschen und die gemeinsamen Ergebnisse an die Entscheidungsmittragenden der Politik weiterzugeben. Dies stärkt sowohl das Interesse der Schüler*innen an der Politik als auch Möglichkeiten der Kinder- und Jugendbeteiligung.

Gerade in diesem Jahr stellte die Durchführung des Forums eine Herausforderung dar. Der Zeitraum zum Austausch und Sammeln der Ergebnisse wurde auf eine gesamte Woche ausgeweitet, um gerade den Schulklassen bei der zeitlichen Planung entgegenzukommen. Weiterhin ist es aber auch Privatpersonen und nicht-schulischen Verbänden möglich gewesen, teilzunehmen.

Themen-Inputs und Leitfragen haben den Schüler*innen eine Grundlage für den Austausch im Gruppenverband geboten. Ihre Ergebnisse, Wünsche und Kritik konnten sie in bündigen Statements an die Organisator*innen weiterleiten.
Am Freitag, dem 11.12.2020, fand dann eine Auswertung in einer Expert*innenrunde statt. Auf der einen Seite Expert*innen aus Politik und Verwaltung und auf der anderen Seite engagierte Jugendliche von SpandOUR TURN als Expert*innen für die Lebenswelt der Jugendlichen, die aus eigener Erfahrung berichteten und die gesammelten Statements der Schüler*innen vertraten.
 

Corona und Schule

Die Ergebnisgespräche wurden eröffnet mit dem wohl akutesten Thema, das kaum einen Jugendlichen nicht betrifft: Der Umgang mit Corona an Bildungseinrichtungen.

Dafür hat Janika Jarling die Fragen und Anregungen der Schüler*innen entgegen genommen und die Sicht der Schulaufsicht Spandau wiedergegeben. Besonders interessant war dabei der Aspekt von »”Innovationsschüben”, die uns die Pandemie mitgebracht hat« hinsichtlich der Digitalisierung von Bildung. Denn auch bei einer Schulschließung muss das Recht auf Bildung gegeben sein. Genau deswegen habe diese Erforderlichkeit die Digitalisierung an den Schulen sehr stark beschleunigt.

Sie wirft ein, dass eine derartige Digitalisierung dennoch Zeit brauche, denn es ginge nicht nur um technische Ausstattung, sondern auch um das Erlangen der Kompetenz im Umgang mit diesen, sowohl für Schüler*innen als auch das Lehrpersonal. Daher wäre es wohl überlegenswert, sowohl in den Rahmenlehrplan der Schulen als auch in die Ausbildung der Lehrkräfte das Modul 'Digitales Lernen' einzuführen.
Die Schüler*innen lassen weiterhin anklingen, dass die Programme teilweise nicht funktionieren und sie sich für verschiedene Lehrer*innen auch auf verschiedene Programme einstellen müssten.
Auch, dass während des ersten Lockdowns Videokonferenzen zu wenig genutzt und die Schüler*innen mit Aufgaben und Buchinhalten alleine gelassen wurden, wird bemängelt. Damit verbunden sei es schwer gewesen eine geregelte Tagesstruktur zu finden, berichtet eine der Jugendlichen.

Im Hinblick auf die sinkenden Temperaturen wird von einem der Jugendvertretenden angesprochen, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit in den Schulen durch das ständige Lüften gefährdet sei. Die Schüler*innen würden dadurch einem unnötigen Risiko ausgesetzt und vom Unterricht abgelenkt, außerdem würden die Masken eine zusätzliche Sprachbarriere darstellen, die gerade für Nicht-Muttersprachler*innen eine hohe Hürde darstellt.

Jarling erklärt, man wolle die Schulen solange wie möglich geöffnet halten, um das Recht auf Bildung auch für diejenigen, die zuhause nur eingeschränkte Möglichkeiten zum Digital-Unterricht haben, zu gewährleisten.

 

Jugend in Demokratie

Ein Thema, dem sich wohl kaum ein Jugendlicher in Deutschland entziehen kann, ist ganz klar die Demokratie. Egal, ob man seine Forderungen laut macht und bereits mitwirken möchte, oder ob man schon jetzt weiß, dass man später nicht wählen gehen wird. Es handelt sich in beiden Fällen um Entscheidungen, die sich minimal aber auch maßgeblich auf die Politik auswirken können.

Inwiefern wird aber mit Ausschluss der Minderjährigen von den Wahlen auch ein Teil der Demokratie ausgeschlossen?
Oliver Gellert vom Jugendhilfeausschuss Spandau hält die Senkung des Wahlalters dabei für überlegenswert, denn als eines der Probleme sieht er, dass die Jugendlichen als Nicht-Wählende von den Parteien noch nicht als Zielgruppe erreicht werden müssten und ihre Wünsche dementsprechend getrost ignoriert werden könnten.

Stephan Machulik, Bezirksstadtrat für Jugend, Ordnung und Bürgerdienste, findet das Konzept spannend, sieht darin aber nicht die Lösung des Problems. Vielmehr sollte Kindern und Jugendlichen jeglichen Alters Gehör geschenkt werden. Dadurch würden sie ermutigt ihr Engagement weiterzuführen - denn warum sollte es für jemanden plötzlich wichtig sein zu wählen, wenn er vorher bereits mehrfach politisch enttäuscht wurde? »Da müssen wir uns als Parteien, damit das System wieder funktioniert, deutlich öffnen«, hält er fest.

Dafür ist es wichtig, die Politik für Kinder und Jugendliche verständlicher zu gestalten und früher mit Beteiligungsarbeit zu beginnen, ohne sie zu überfordern. Die Berliner Schulen erhalten im kommenden Jahr 3.000 € für die politische Bildungsarbeit. Die Jugendvertreter*innen wünschen sich, dass die Schüler*innen mit Unterstützung Erwachsener selbst entscheiden können, wie das Geld verwendet wird.

Generell ergibt sich aus der Diskussion, dass Beteiligungsangebote stärker an Kinder und Jugendliche herangeführt werden sollten, um deren Engagement weiter zu fördern. Problematisch sind dabei noch politische Strukturen, die es den Engagierten erschweren, gehört zu werden oder das Stellen eines Antrages stark beschränken. Daher muss gerade in diesem Bereich der Dialog als Mittel der Demokratie weiter ausgebaut und geebnet werden.

 

Diskriminierung im Alltag

Sehr breit gefächert präsentiert sich auch das letzte Thema der Runde, die sich mit verschiedenen Formen der Diskriminierung befasste, insbesondere Rassismus, Sexismus und Mobbing.

Diskriminierung stellt sich vor allem als Machtmissbrauch und ein fehlendes Gefühl für die andere Person [Empathie] dar, so Juliane Fischer-Rosendahl, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamts Spandaus.
Besonders im Bereich des Sexismus zeigt sich eine interessante Dynamik durch das unterdrückende Rollenbild der Frau im Vergleich zu dem männlich gelesenen, die ihr Privileg nutzen, um weiblich Gelesenen unschöne Kommentare im Internet zu hinterlassen.

Gerade in der Corona-Zeit, in der viele zuhause bleiben müssen, würden wohl insbesondere weiblich gelesene Jugendliche mehr im Haushalt und bei ihren Geschwistern helfen müssen als ihre männlichen Mitschüler*.
Gleichzeitig erinnert die Gleichstellungsbeauftragte, dass die Erfolge, die in den letzten Jahren erzielt wurden, nicht vernachlässigt werden dürften. So führt sie das Beispiel weiblicher Nobelpreisträgerinnen der Chemie an; sechs über 120 Jahre, davon vier innerhalb der letzten zwanzig Jahre.

So wie der Sexismus gegenüber jungen weiblich Gelesenen durch Corona verstärkt sein mag, wird auch eine besondere Form des Mobbing durch die Corona bedingte Digitalisierung befeuert. Cyber-Mobbing ist das öffentliche Schikanieren im Internet oder auf Messengern.

Anlass zum Mobbing ist oft das 'Anders-Sein' einer Person. Ein großes Problem sei dabei, dass die Repräsentation beispielsweise in den Räten zu einseitig und die Diversität der Bevölkerung nicht sichtbar sei, so Frau Fischer-Rosendahl.

Wie soll man auf die Bedürfnisse aller eingehen, wenn in den entscheidenden Ämtern hauptsächlich weiße cis-Männer sitzen?

Das Wort "Mobbing" wird nach Jarling zu oft zur Umschreibung normaler Konflikte unter den Schüler*innen verwendet. Deswegen wird jede Angabe von Mobbing zunächst genau überprüft, bevor dann Menschen von dem Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) in die Schulen und Klassen geschickt werden, um den Schüler*innen ihr Verhalten zu erklären und zum Umdenken anzuregen.

Die Schüler*innen wünschen sich eine bessere Sensibilisierung gegen Diskriminierung, einigen fällt es schwer, Rassismus zu erkennen. Außerdem soll der Aufklärungsunterricht inklusiver gestaltet werden, nicht nur um Toleranz in Sprache und Umgang zu schaffen, sondern auch um Identifikationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendlich zu schaffen.
Weiterhin möchten sie präventive Aufklärungsarbeit im Gruppenverband erhalten, um Kindern und Jugendlichen begreiflich zu machen, was Diskriminierung mit Betroffenen macht, und um sich mit eigenen Fehlern zu konfrontieren. Schulische Selbstverteidigungskurse und die Sensibilisierung der Lehrkräften halten sie für genauso wichtig.

 

Fazit

Besonders erfreulich war, dass die Expert*innen aus der Politik und Verwaltung Kritik positiv angenommen und reges Interesse an der Verbesserung gezeigt haben und bemüht waren, Fragen und Anmerkungen der Schüler*innen so direkt wie möglich zu beantworten.

Dennoch hätte ich mir an einigen Stellen einen intensiveren Diskurs gewünscht, bei dem sich vielleicht auch das Publikum hätte einbringen und an manchen Stellen nachhaken können. Gerade in der ersten Runde hätte mich sehr interessiert, wie es zu rechtfertigen ist, sämtliche Schüler*innen im Winter in großzügig gelüftete Räume zu setzen, damit ihr Recht auf Bildung gewahrt ist, während die körperliche Unversehrtheit, um die es sich überall sonst in der Corona-Zeit zu drehen scheint, hinten ansteht? Und zwar obwohl, wie von den Jugendlichen angemerkt, Sprachbarrieren durch die Masken verstärkt werden, das ständige Lüften ablenkt und, wie jeder schon gemerkt haben sollte, das Lesen und Schreiben mit Maske erheblich erschwert wird. Auf die beiden Vorschläge, dass die Schule den Schüler*innen, die von Hause aus nicht die Voraussetzungen haben, die technische Ausstattung für digitalen Unterricht stellen könnte oder dass wieder im AB-System und in kleineren Gruppen dafür aber ohne Lüften im Winter unterrichtet werden könnte, ist viel zu nebensächlich eingegangen worden. Ich denke, an dieser Stelle hätte man besser Ideen für einen alternativen Lösungsweg, der das Recht auf Bildung und auf körperliche Unversehrtheit gleichermaßen beinhaltet, besprechen können, anstatt zu bereden, dass es so, wie es gerade geführt wird, auch funktioniert. Irgendwie.

Durch das schiere Volumen der Themen wäre es aber kaum möglich gewesen, auf alles genau einzugehen, dafür ist die Zeit zu knapp gewesen. Das ist mir vor allem bei der Runde zu Diskriminierung aufgefallen. Jede Form der Diskriminierung ist alleine schon so komplex, dass ich nicht den Eindruck hatte, dass man gebührend auf jede Einzelne eingehen konnte. Andererseits war es gut, dass man Rassismus, Mobbing und Sexismus nicht über einen Kamm geschert hat, sondern wenigstens im Ansatz einzeln beleuchtet hat.

Um dem Umfang der Themen gerecht zu werden, könnte man im nächsten Jahr vielleicht die Abschlussrunden parallel zueinander führen, anstatt sie nacheinander zu legen.

Insgesamt ist mein Eindruck, dass fast jede*r Jugendliche in irgendeiner Weise von einem der diskutierten Themen betroffen ist, und halte daher die Themenwahl des Jugendforums für einen vollen Erfolg. Gerade bei dem Expert*innengespräch und den zusammengetragenen Ergebnissen sind Aspekte aufgezeigt worden, die sonst vielleicht nicht für jeden offensichtlich gewesen wären. Außerdem sind teilweise schon sehr konkrete Ideen zur Verbesserung geäußert worden, auf die ich mich in Zukunft schon sehr freue.