Warum Schule scheiße ist - ein Kommentar zur Kritik

am 20.07.2017

Mal ehrlich, wer kennt die Jungs von TheSimpleClub nicht? Wie viele Stunden haben wir der unverwechselbaren Stimme von Alex gelauscht, um uns auf bevorstehende Unterrichtsstunden, Tests, Klausuren oder sogar das Abitur vorzubereiten? Vermutlich zu viele. Und genau hier liegt das Problem. Wie kann es denn sein, dass so viele von uns Schülern auf Nachhilfevideos zurückgreifen müssen, weil Lehrkräfte es nicht schaffen, uns den relevanten Stoff verständlich zu vermitteln? Selbstverständlich liegt diese Schuld nicht nur bei den Lehrern selbst. Dem Unterricht zugrunde liegen Rahmenlehrpläne, Leitfäden und Reglementierungen, die die Inhalte und Methoden des Unterrichts weitestgehend vorgeben. Vielen Lehrern fehlen zudem offenbar Mut und Kraft, (erfolgreich) mit den Konventionen zu brechen und neue Wege zu gehen, die ihre Schüler, uns, wirklich erreichen. Für alle die TheSimpleClub noch nicht kennen: Auf den acht YouTube-Kanälen von TheSimpleClub findet man kostenlose Nachhilfe in Erdkunde, Wirtschaft, Geschichte, Informatik, Biologie, Chemie, Physik und Mathe. In kurzen Videos gelingt es dem Team, jegliche Inhalte humorvoll, kompakt und vor allem eingängig zu erläutern. Außerdem wird jede Erklärung durch lebhafte Präsentationen und aufwendige Grafiken unterstützt, die das Gesagte illustrieren. Dieses Konzept stammt von Alexander Giesecke und Nicolai Schork, die mittlerweile ein großes Team hinter sich haben, um wöchentlich neue Videos produzieren zu können.

TheSimpleClub auf der TINCON

Zurück zu meinem eigentlichen Anliegen: Auf der TINCON 2017 hielten Alex und Nico einen Vortrag, in dem sie das Bildungssystem scharf kritisierten und Alternativen vorschlugen, die uns den Schulalltag – theoretisch – maßgeblich versüßen könnten. Für alle, die also nicht bei der TINCON dabei sein konnten, habe ich den Talk hier zusammengefasst und die zentralen (fettgeschriebenen) Aussagen von TheSimpleClub kommentiert. Dabei habe ich mich an deren Argumenten orientiert, aber ebenso auf meine eigenen Erfahrungen zurückgegriffen, die ich, bis zu meinem frisch erworbenen Abitur in diesem Jahr, machen durfte.

Schule also ...

Derzeit sitzen wir laut den Jungs von TheSimpleClub alle in einer Art altertümliche Kutsche – der Schule –, die sich über die Jahrhunderte ganz gut bewährt hat, in Zeiten des Strebens nach frühzeitiger individueller Entfaltung und Profilierung jedoch nicht mehr wirklich zielführend ist. Jeder Schüler muss weitestgehend unabhängig von seinen Fähigkeiten oder seiner Geschwindigkeit über 12 oder 13 Jahre die gleichen Inhalte lernen und dieses (temporäre) Wissen in regelmäßigen Prüfungssituationen unter Beweis stellen.

Wenn wir nun aber die Möglichkeit hätten, eine neue Schule zu gründen, wie würden wir sie gestalten?

  • Wozu lernen wir überhaupt?

  • Was sollen wir lernen?

  • Wie wollen wir lernen?

Lasst uns gemeinsam überlegen:

Das Konzept von fächerübergreifendem Unterricht steht zwar schon lange im Raum, doch gelingt es den wenigsten Schulen, dies tatsächlich und erfolgreich umzusetzen. Es ist an der Zeit, die scharfen Grenzen zwischen den einzelnen Fächern aufzuheben und noch mehr Querverbindungen zu schaffen, um die Zusammenhänge in unserer Welt besser begreifen zu können. Beispielsweise ist Klimawandel nicht nur Geografie, sondern gleichermaßen Biologie, Physik und Geschichte, sogar Informatik und eben dieses Bewusstsein muss bereits in der Schule geschaffen werden.

(Liebe Lehrer, der ewige Streit um die beste und wichtigste Naturwissenschaft langweilt mich übrigens. Wie wäre es, wenn Sie einfach akzeptieren, dass Sie ohne einander nicht können.)

Ich persönlich empfinde 45 Minuten nicht als zu lang, doch beweisen zahlreiche Studien, dass die maximale Aufmerksamkeitsdauer von Kindern und Jugendlichen bei etwa 15 bis 20 Minuten liegt. Natürlich kann auch Aufmerksamkeit geschult werden, aber sicher nicht mit 1 1/2 Stunden Mathe, in denen viele von uns schnell mal abgehängt werden und folglich schnell das Interesse verlieren.

Aus einem mir unerklärlichen Grund denkt jeder Lehrer, sein Fach wäre das wichtigste von allen und unsere gesamte Energie und Lebenszeit könne in die Vor- und Nachbereitung dieses einen Unterrichts fließen. "Schade" nur, dass wir pro Tag meist noch fünf weitere Fächer bearbeiten müssen. Wir sollen jeden Tag Künstler, Naturwissenschaftler, Informatiker und Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler zugleich sein, nichts vernachlässigen und natürlich das Leben nicht vergessen. Auch im Kontext Schule ist der Ausspruch "Weniger ist mehr" also sinnvoll: Schule braucht Fokus, nachvollziehbare Schwerpunkte und muss ein Maß an Wissen vermitteln können, welches wir fähig zu behalten sind. Natürlich habe ich nicht den Anspruch, all das vermittelte Wissen in meinem Kopf zu speichern, doch sollte es mehr sein, als derzeit beim "Ad-hoc-Lernen" hängen bleibt. In der Schule wird uns viel geboten, wirklich mitnehmen tun wir allerdings zu wenig.

Die Jungs von TheSimpleClub bezeichnen diesen Umstand als Diktatur. Nun ja, man muss nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Fakt ist aber, dass wir von den Kompetenzen unserer Lehrer weitestgehend abhängig sind, da sie die Grundlagen legen, auf denen wir im Abitur, Studium oder sogar im Beruf aufbauen wollen und müssen. Es ist zwar ein nicht erfüllbarer Wunsch, weil überall über Lehrermangel geklagt wird, doch würde sowohl Lehrern als auch Schülern ein niedrigerer Betreuungsschlüssel gut tun, um enger und intensiver miteinander arbeiten zu können.

Die Frage "Wofür brauche ich das?" ist lästig, aber letztendlich berechtigt, wenngleich sie nicht immer gleichermaßen angebracht ist. Jeder von uns sollte Prozente oder Zinsen berechnen können, von den Ursprüngen der Demokratie gehört haben, Evolution als nicht endenden Prozess verstehen und bei Plattentektonik nicht an eine Krankheit denken müssen. Allgemeinbildung ist wichtig und hilft uns, den Alltag zu bewältigen oder uns den täglichen Diskursen der Welt zu nähern. Der überwiegende Teil an Schulbildung betrifft aber nicht jeden. Es fehlen die individuellen Schwerpunkte, die uns gezielt unsere Interessen vertiefen lassen, sobald wir sie gefunden haben. Erschwerend hinzu kommt der permanente Zeitdruck, der nicht zulässt, in einem eigenen Tempo zu lernen. Weil jeder das Gleiche in gleicher Zeit lernen muss, bleiben viele Schüler auf der Strecke und verlieren die Lust an Bildung. Sie geben auf, ohne ihr Potential ausgeschöpft oder zuallererst erkannt zu haben.

Ich denke, wir sind uns einig, wenn ich behaupte, dass vorwiegend Klausuren messen, wie gut wir innerhalb weniger Zeit Wissen in unser Kurzzeitgedächtnis stopfen konnten. Es geht, gerade in Lernfächern wie Biologie, darum, dass wir auf Knopfdruck die Inhalte der vergangenen Monate perfekt ausspucken können. An diesen schriftlichen Leistungen hängt dann ein großer Teil unserer Note, die in vielen Fällen nicht das repräsentiert, was man eigentlich weiß. Mal hat man einen schlechten Tag oder eine uneindeutig formulierte Aufgabe und schon ist der Zug abgefahren. Natürlich brauchen wir Kontrollen und Leistungsmessungen, weil sie anspornen und uns der Druck dazu bringt, zu lernen, und uns zielgerichtet zu gesetzten Terminen vorzubereiten. Das ist wichtig – auch für das weitere Leben –, aber auf diese Weise selten motivierend.

Ich kann es nicht mehr hören: "Du bist besser als der Durchschnitt. Du solltest doch zufrieden sein." Der Durchschnitt sagt nicht mehr, als dass unsere individuelle Leistung schlechter oder besser ist als der Schnitt der Klasse und das war es auch schon. Aber wieso müssen wir uns ständig mit unseren Klassenkameraden vergleich (lassen)? Für mich ist das kein Maß für meine Leistung, an dem ich mich orientieren kann oder will. Außerdem empfinde ich es als unangenehm, mich ständig ins Verhältnis setzen zu lassen und somit auch ein Urteil über die Leistung der anderen zu fällen, die mich persönlich eigentlich nicht zu interessieren hat. In meinen Augen schüren Notenspiegel und Durchschnittsberechnungen lediglich den Konkurrenzkampf, ohne tatsächlich etwas zur klasseninternen Reflektion beizutragen oder was auch immer der Sinn dieser Rituale sein soll.

Genug geklagt

Nico und Alex haben Recht: Die Schule, wie wir sie gegenwärtig erleben, ist ein System, das viel Verbesserungspotential hat. Unbestreitbar brauchen und wollen wir Bildung, nicht aber auf diese Art und Weise, in der individuelle Interessen und Tempi zu oft hinten anstehen müssen. Bildung kann und soll Spaß machen und dafür braucht es theoretisch nicht viel. Würden wir alle unsere Ideen einbringen, hätten wir alles für ein besseres Schulsystem beisammen, doch braucht jede Idee Unterstützer und Zeit (und finanzielle Mittel). Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was falsch läuft, ist der erste Schritt. Nun ist es an uns, die Zügel in die Hand zu nehmen und uns einzubringen. Engagiert Euch an Eurer Schule, geht in Gremien der Schülervertretung, ruft Projekte ins Leben und arbeitet vor allem mit Euren Lehrern zusammen, die hoffentlich ebenso bereit für Veränderungen sind. Ich will die Schule eigentlich nicht verteufeln. Ich bin selbst in den vergangenen Jahren zu einem beispiellosen Streber mutiert, aber eben weil ich das Potential erkannt habe, das die Schule bietet. Durch engen Kontakt zu Lehrern und eine aktive Teilhabe am Schulalltag lässt sich viel erreichen. Mit Geduld und Hartnäckigkeit lässt sich jede Schule beleben, sofern ihre Schüler und Lehrer denn dahinterstehen. Dazu braucht es zunächst kein Bildungsministerium oder Politiker: Veränderung beginnt im Kleinen. Also macht was draus. Lasst uns TheSimpleClub und all die anderen Nachhilfelehrer arbeitslos machen.