100 Jahre Frauenwahlrecht

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am 05.02.2019

Berlin, 13 Uhr, Rathaus Steglitz/ DAS SCHLOSS (Einkaufszentrum)

30 junge Frauen, zwei Fotografinnen, eine Zeitreise - sie alle verbindet eine Geschichte. Eine Geschichte über Veränderung. Über Mut. Über die Freiheit zur Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Sie alle treten an ein Thema heran, dass so keinen von uns unberührt lässt. Die einen engagieren sich, die anderen blicken dem neugierig entgegen, manche wissen wiederum nicht, was sie davon halten sollen:

Feminismus.

Man hört es, man kennt es, doch so richtig mitdiskutieren ist gar nicht mal so einfach. Den meisten fällt zunächst eine Idee ein, und zwar die Emanzipation der Frau; sowohl in der Gesellschaft, in der Politik als auch als individuelle Persönlichkeit. Um diesen Gang nachvollziehen und jene Impulse zu & aus der Gleichberechtigung aufgreifen zu können, muss man sich an die Wurzeln dieser starken, aber auch gewagten Bewegung rantrauen.

Die wandelbare Frau

Woher kommt die Frau? Was war das einheitliche Bild, welche Facetten verbergen sich? Wie vielfältig kann “Frau” sein? Und vor allem: Welche Chancen sind aus ihrer revolutionellen Entwicklung hervorgegangen? Genau mit diesen Fragen anlässlich des 100-jährigen Jubiläums zum Frauenwahlrecht in 2018 beschäftigen sich die beiden Fotografinnen Gisela Gürtler und Milena Zara in ihrer Fotoausstellung.

Tragend für das Projekt waren Mädchen im Alter von 10 bis 21 Jahren, die im wahrsten Sinne des Wortes in die Schuhe der Vergangenheit geschlüpft sind, um sich in verschiedenen Zeitepochen ablichten zu lassen. Heraus kamen dabei zwei Fotostrecken, die den wandelbaren Charakter der Frau im Laufe des 20. Jahrhundert modisch in Szene setzen und dabei visuell ansprechend dokumentieren.

“feminationSZ” nennt sich das Ganze - eine Hommage an das bewusste, moderne Frauenbild, das sich ihren Weg durch Normen, Rollenvorgaben und Unterdrückung erkämpfen musste; lang war dieser Weg, und lang wird er noch sein. Auch heute noch müssen und werden bedeutende Schritte getan, wie seit neustem die Einführung des Weltfrauentags am 8. März als gesetzlichen Feiertag in Berlin. Bemerkenswert, wo Frauen früher nicht mal Mitspracherecht in politischen Entscheidungs- und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen hatten, leisten wir heute bereits bei den ganz Jungen Förderarbeit, um das Nachdenken anzuregen.

So auch mit dieser Fotoreihe, die seit dem 4. Dezember und noch bis zum 4. Februar im Rathaus Steglitz ausgestellt wird: Die Mädchen konnten sich aktiv beteiligen, experimentierten viel mit den verschiedenen Stilen und Details, um sich auch ein Stück weit hineinzufühlen. “Uns war es auf jeden Fall wichtig, Ihnen viel Freiraum zu geben, damit es sich für sie passend anfühlt und sie der ganzen Idee noch eine persönliche Note geben”, so die Projektkoordinatorin Daniela Gukelberger von dem Jugendsozialprogramm MoWo, dem Unterstützungspartner dieses Projekts. “Es war sehr spannend, alle dabei zu beobachten.”

Du bist was du trägst?

Und auch für die Hauptfiguren war es nicht weniger spannend, wussten doch viele zu Beginn noch nicht, was sie erwarten konnten. “Die Idee klang sehr interessant, also wollte ich es mal ausprobieren”, meinte Louise, 15 Jahre alt. Wie viele andere wurde sie schnell mit einem vollkommen anderen Selbstbild konfrontiert, einer neuen (oder doch eher alten?) Version des eigenen Ichs.

Auch Ava mit ihren zarten 11 Jahren war überrascht: “Klar, ist das mal cool, aber es ist auch etwas ganz schön anderes. Und mal ehrlich, das bin nicht ich!” Sportlich und selbstbewusst, so beschreibt sie sich - die feine Lady der 30er-Jahre, wie sie auf dem Foto dargestellt wird, ist wahrscheinlich nicht weniger selbstvertraut. Doch die Dynamik ist eine ganz andere. Betont weiblich mit Pelzmantel und Hut, anspruchsvoll in der Haltung, eben anders. Zur Ausstellung trug sie, genau wie ihre Shooting-Kolleginnen, Mode vergangener Jahrzehnte inklusive hohe Absatzschuhe. Lächelnd, während sie zur Seite schaut, weiß sie aber: “Nichts geht über meine Sneakers!

Doch damals konnten Frauen nicht mal Sneakers tragen. Die gab es bis zu einem konkreten Zeitpunkt nicht, und zur höflichen Etikette gehörte eben eine ganz bestimmte Kleidung. Was würde die heutige Frau dazu sagen? “Also, ich finde das eher etwas befremdlich”, sagen zwei Schülerinnen, die beim Bummeln durch die Läden auf die Bilder gestoßen sind. “Ich könnte mir gar nicht vorstellen, dass mir jemand irgendwie sagen will, wie ich mich anzuziehen habe.” Ungewöhnlich sei der Stil von damals, da diese Kultur so gar nicht vertraut ist mit Petticoats, schrillen Mustern oder opulenten Schmuck.

Hinter jeder Abbildung versteckt sich eine Message, die passender nicht sein könnte. Anfänglich noch trist und recht befangen, wandelt sich die weibliche Figur. Die Mode, die Präsenz, ja selbst die Mienen sprechen Bände. Man bewegt sich von recht kühl-farbiger, großflächig genähter Traditionsmode in Richtung Regelbrechung, mehr Experimentierfreudigkeit und fröhlichen Tönen. Unterschiedliche Farben und Materialien treffen aufeinander, Trendwellen fluten und ebben ab, ein spielerischer Mix von schillerndem 20er-Jahre-Flair über die schrägen 70ern bis hin zur fast schon ekstatischen Jahrtausend-Wende. Man sieht: Kreativität kommt und geht, was bleibt, ist das Konzept Innovation.

Der kunterbunte Faden trifft einen Nerv, und das sieht man. Auf die Frage, welches Foto einen am meisten anspricht, kristallisieren sich zwei Favoriten heraus: Interessanterweise tippen viele begeistert auf den Marlene-Dietrich-Style aus den 20er. Sicher, Gentlewoman sieht in Frack und Hose genauso gut aus wie Mann! Viele reizt die direkte Verbildlichung des Geschlechtervergleichs durch die Umkehrung von primär maskulinen Eigenschaften - in dieser Komposition durch das Stilmittel des Anzugs.

"Wie eine Zeitreise."

Aber auch ein Bild zu 1940 mit Trümmerfrauen, die sich in der Nachkriegszeit zur Aufräumarbeit in zerbombten Gebäudekomplexen melden mussten, erfasst das Gemüt. Daran kann sich auch eine ältere Besucherin in der Ausstellung erinnern. “Wenn ich diese Bilder sehe, ist es für mich wie eine Zeitreise”, erzählt sie mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Es schenkt ihr Erinnerungen, doch die Debatte des Feminismus selbst ist für sie persönlich unter erschwerten Bedingungen reflektierbar. Eine Perspektive von der ganz anderen Seite. “Wissen Sie, nach dem Krieg, da hatten wir einfach nicht so viel Zeit, uns hochaktiv um solche Themen zu kümmern. Alles musste auf zack sein, alles sollte funktionieren. Ich bin da eher pragmatisch veranlagt.”

Egal ob jung oder alt, Mann oder Frau, wir alle haben Berührungspunkte mit diesem kontroversen und doch selbstverständlichen Thema. Gleichberechtigung heißt das Zauberwort, und das wünschen sich auch alle mutigen Mädchen sowie die Künstlerinnen hinter den Fotografien, Gisela und Milena, die mittels dieser Fotoaustellung ein tolles Zeichen setzen. Mehr Toleranz und Stimme - stets auf Augenhöhe - darauf soll es in Zukunft ankommen. Die erste Hürde zur Aufhebung jener Sensibilisierung in der Diskussion, um weitere Fortschritte zu ermöglichen, ist mit diesen umfassenden Rückblick überaus gut gelungen.

Wenn ihr mehr über Gisela Gürtler und Milena Zara erfahren wollt, besucht doch mal ihre Webseiten:

http://giselaguertler.de/

http://www.milenazara.com/

Mehr Informationen zu MoWo, eine Praxisstelle des Nachbarschaftshauses Wahnseebahn e.V., findet ihr hier:

https://www.wsba.de/jugendarbeit/mowo