Kein Bock auf Victim Blaming

Stehe am Bahnsteig in der U-Bahn. In der Nähe unterhalten sich ein paar Männer laut auf Arabisch. Scheinen sich zu streiten. Von der anderen Seite kommt ein Mann auf mich zu und kommentiert das Geschehen. Fragt mich, was für ein Problem die Typen hätten. Sage, ich hätte keine Ahnung, würde kein Arabisch verstehen. Beschwert sich, es sei immer dasselbe mit den Arabern. Erwidere, dass jeder mal eine Diskussion führen könne, nur weil die Männer Arabisch sprächen, müsse man das ja nicht gleich abwerten. Sagt, es wäre egal, er wäre eigentlich eh nur wegen mir her gekommen. Was soll ich darauf antworten? Sage „Aha“ und drehe mich demonstrativ von ihm weg. Kurze Pause. Scheint ihn nicht zu interessieren. Meint, ich sähe „mega geil“ aus. Wieder weiß ich nicht, was ich sagen soll. Bedanke mich absichtlich freudlos bei ihm und gehe weg. Die Bahn fährt ein. Er geht mir hinterher. Fragt beim Einsteigen, ob ich einen Freund hätte. Bejahe. Sagt, das störe ihn nicht. Antworte: Mich schon. Fordert mich auf, mich mit ihm in das leere Abteil zu setzen. Entgegne, dass ich lieber hier bei den Leuten sitzen wolle. Sagt, er wolle lieber allein mit mir sein. Sage nichts. Gehe nicht mit ihm. Setze mich. Setzt sich neben mich. Rieche seine Alkoholfahne. Fragt mich, wo ich wohne. Lüge und sage, ich sei hier nur zu Besuch. Will wissen, was ich hier mache. Behaupte, Berlin nur anzuschauen und gleich meine Freundin zu treffen. Wiederholt, ich würde echt geil aussehen. Wiederhole ein unbeeindrucktes „Danke“ und streiche mir die Haare ins Gesicht. Sollmich nicht ansehen. Kommt mir näher. Rücke weg. Beobachtet mich. Fragt mich nach meinem Namen. Hält sich dabei die Hand vor den Mund, damit ich den Alkohol nicht rieche. Sage ihm meinen Namen. Frage mich im selben Moment: WARUM? Schöner Name. Sagt, er würde mich jetzt wirklich gerne küssen. Entgegne, dass ich das nicht wolle. Meint, mein Freund wäre kein Hindernis. Entgegne, für mich schon. Erzählt von seiner Frau und drei Kindern Zuhause und dass ihn das auch nicht störe. Meine, das wäre scheiße, müsse aber jeder für sich selbst entscheiden. Mustert mich von oben nach unten. Beschreibt, wie ihm meine Haare, meine Lippen und meine Brüste gefallen würden. Fühle mich unwohl, dass er besonders meine Brüste so kommentiert, sage nichts und schaue zu Boden. Fügt hinzu, ich hätte Sex-Appeal, hätte mich einfach ansprechen müssen, hätte gar keine andere Wahl gehabt. Frage ihn, ob das alles wäre, worauf er bei Frauen achte. Entgegnet, alle Männer wären so. „Ich hoffe nicht, dass alle Männer so sind wie du.“ Er Lacht. Zeigt auf den Mann gegenüber. Behauptet, „der Schwarze da“ würde mich auch schon die ganze Zeit anschauen. Der würde mir garantiert auch nur auf die Brüste gucken. So wären alle Männer. Schaue auf die Sitzreihe gegenüber. Der Mann guckt zwar, scheint jedoch eher einen besorgten Ausdruck zu haben. Sagt aber nichts. Wiederholt, dass er mich küssen wolle. Widerspreche. Fängt an, von seiner Frau zu erzählen; dass sie gerade mit den Kindern Zuhause sei und hier von nichts mitbekommen müsse. Es gäbe einfach zu viele schöne Frauen auf dieser Welt. Eine davon wäre ich. Fühle mich nicht im Geringsten geschmeichelt. Eine weitere geht an uns vorbei, schaut ihr unverhohlen auf den Arsch. Fragt, ob mein Arsch auch so geil wäre wie der Rest meines Körpers. Ignoriere ihn. Sagt zum dritten Mal, dass er mich hier und jetzt küssen wolle. Meide seinen Blick, wiederhole erneut, ich wolle das nicht. Kommentiert ein Muttermal auf meiner Schulter. Beugt sich dafür zu mir, als würde er mich gleich wirklich küssen. Drehe mein Gesicht weg, schaue auf den Boden. Schaue die anderen Fahrgäste gleich gegenüber von mir nicht an. Ist mir peinlich. Will wissen, bis wohin ich fahre. Sage, ich müsse die nächste Station raus. Findet es schade, meint, er müsse noch weiter fahren. Die Bahn hält an. Stehe auf. Hält mir die Hand hin. Warum habe ich sie genommen? Unglaublich, dass ich bis zuletzt noch höflich bleibe. Schüttelt meine Hand. Drehe mich zum Ausgang. Ruft mir eine letzte Demütigung hinterher; mit meinem Arsch hätte er Recht behalten. Atme tief durch. Bin froh, dass er mir nicht hinterher ist. Dieselben arabischen Männer, die sich vorher gestritten haben, sind auch ausgestiegen. Scheinen die Situation in der U-Bahn beobachtet zu haben. Mustern mich und zwinkern mir zweideutig zu, wechseln verschwörerische Blicke. Was wollen die denn jetzt noch von mir? Gehe schnell weiter und hoffe, dass auch sie mir nicht folgen. Tun es nicht. Frage mich Zuhause, was da los gewesen ist. Lag es an meiner Kleidung? Trug lange Jeans, hoch geschnittenes Oberteil. Keine nackte Haut. Lag es an meiner Ausstrahlung? Wie kann ich das überhaupt beeinflussen? Keine Ahnung. Komme zum Schluss: Das passiert halt mal. Ist ja nicht das erste Mal gewesen. Ist ja nichts Schlimmes passiert. Hat mich ja nicht angefasst. Will das einfach abhaken. Schon okay. Dieser Gedankengang macht mich sauer. Will das nicht einfach abhaken. War nicht „schon okay“. Zwinge mich, das nicht als normal anzusehen. Erinnere mich an das Gespräch mit meiner Schwester, dass man so etwas nicht einfach runter schlucken dürfe, sondern sich darüber am besten mit anderen austauschen solle. Dass sich niemand das Recht raus nehmen dürfe, mich so zu behandeln. Selbst wenn ich nackt in der U-Bahn gefahren wäre. Kein Mensch darf sich herausnehmen, meinen Körper so zu bewerten und mir unangenehm nah zu kommen, wenn ich offensichtlich dagegen bin. Und selbst wenn ich auch nur eine noch so kleine Andeutung gemacht hätte, wäre das schon genug gewesen. Warum schäme ich mich für etwas, wofür sich eigentlich der Typ schämen sollte? Weder mein Kleidungsstil noch meine Ausstrahlung sind das Problem, sondern das Selbstverständnis dieses Mannes, sich über eine Frau zu stellen, mich zu begaffen, mit unverschämten Aussagen zu belästigen und ein Nein nicht als Nein zu nehmen. Mein Körper ist niemandes Objekt. Und ich lasse mich nicht einschränken. Kein Bock auf Victim Blaming!

VON H.

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