Filmrezension zu “Hi, AI”

von
am 18.01.2019

“Könnt ihr Menschen träumen?”

Pepper richtet sein Blick auf. Große, blaue, ja fast schon niedliche Augen schauen einem entgegen, die Hände einem entgegenstreckend. Würde man nicht sehen, wer vor einem stünde, könnte man auch annehmen, ein kleines Kind sprechen zu hören. Nur, dass kleine Kinder für gewöhnlich andere Fragen stellen. Aber Pepper ist nicht wie andere Kinder. Pepper wurde in Tokio entwickelt, programmiert und zum Leben erweckt. Pepper ist ein Roboter. Und seine Aufgabe ist es jetzt, menschliche Beziehungen einzugehen - so oder so ähnlich.

Das neu-industrielle Phänomen

Technologische Prozesse schreiten seit Jahren, insbesondere in den letzten drei Dekaden, unumkehrbar voran und ermöglichen uns bahnbrechende Innovationen, die unser einzelnes Leben und die der Gesellschaft bereichern sollen. Egal, ob es um Lösungskonzepte in der modernen Medizin geht oder um Möglichkeiten zur Optimierung von alltäglichen Tätigkeiten - zu jedem Topf findet die Erfindungskraft der Technik einen passenden Deckel. Mal früher, mal später.

Jedoch stellt sich einem recht schnell die Frage, inwiefern die Wagnis ebensolcher technologischer Potentiale mit der einhergehenden Ethik der Vernunft korrelieren kann. Sagen wir mal, im Falle von dem kleinen Pepper: Welche Linien überschreiten wir, wenn wir von einer alternierenden Form des menschlichen Bewusstseins sprechen? Überschreiten wir überhaupt etwas, oder ziehen wir neue Linien jenseits unserer klassifizierten Vorstellungen eines Verstandes?

Das Pendant in dieser Diskussion und somit auch das entscheidende Fundstück der Kontroverse bilden zwei sehr relevanten Worte, die einem in der heutigen, relativ jungen Digitalgesellschaft nicht fremd vorkommen sollten: Künstliche Intelligenz.

Die Storyline

Mit genau dieser riskanten Wandelbarkeit hinter jenem Begriff beschäftigt sich der Dokumentarfilm “Hi, AI - Liebesgeschichten aus der Zukunft” (“AI” aus dem Englischen für “Artificial Intelligence” - Künstliche Intelligenz). Ein direkter Willkommensgruß an die Zukunft? Bereits der Titel wirft Fragen auf. “Liebesgeschichten”, das greift ja tief in die emotionale Grundlage und Bedürfnisse eines menschlichen Lebewesens ein. Eine besondere Erzählung über Geschichten zwischen Mensch und Roboter.

Im Debütfilm der Regisseurin Isa Willinger verfolgen wir hauptsächlich zwei experimentelle Beziehungen, die sowohl innerhalb der Partnerschaft als auch im direkten Vergleich nicht unterschiedlicher sein könnten: Auf der einen Seite Oma Sakurai, die ihr - wie sie selbst sagt - “verkalktes Leben” frisch und auf Trab halten will mit dem sprechenden Familienroboter Pepper. Auf der anderen Seite wiederum der robust erscheinende Chuck aus Texas mit seinem Liebesroboter Harmony, die gemeinsam einen besinnlichen Road Trip unternehmen - Konfliktgefühle vorprogrammiert. Oder sind diese für einen Roboter buchstäblich nicht wirklich machbar?

Ein Blick hinter der Linse

Die Atmosphäre des Films konzentriert sich auf schlichte Gestaltungsmethoden und verzichtet auf große Effekte. Vielmehr wird der Fokus auf den Inhalt gelegt und reflektiert aneinander reibende Stimmungslagen gekonnt durch die Verwendung einfacher Ressourcen, die sich ganz natürlich aus den Bildwerken der Szenerie ergeben. Ideal unterstützt wird die Simplizität durch eine eher subtil-nüchterne Kameraführung, die dem Zuschauenden auch einen forschenden Blick auf das zu entstehendes Subjekt erlaubt.

Genau dieser Kontrast von Skepsis und Einfachheit wankt von Zeit zu Zeit, Momentaufnahme zu Momentaufnahme: Kam man sich noch zu Beginn recht fremd vor, machen sich bereits kurze Zeit später vertraute Gefühle der Belustigung bemerkbar. Es ist leicht beschämend, mit einem Hauch von Schmunzeln und einem aufkeimenden Gefühl von Empathie zu beobachten, wie so ein Roboter im Alltag mit uns agieren könnte. Ein bisschen wie bei einem eigentlichen Kleinkind, das unbeholfen über alles Fragen stellt und noch alles um sich herum aufsaugen muss, um sich seiner Umgebung anzupassen.

Nur das wir hier von einer durch Menschenhand erschaffenen Maschine sprechen.

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Impressionen

“Hi, AI” bricht das Eis in mehrere Stücke - und das auf eine Art und Weise, die viel Interpretationsraum lässt. Wir bekommen Einblicke an unterschiedlichen Forschungszentren, kratzen an der Oberfläche der Philosophie mit renommierten Spezialisten und sehen hier und da einen Roboter nach dem anderen durch unser Sichtfeld huschen - von einem tanzenden Ballon-Roboter über den (Kinofans, aufgepasst!) popcorn-machenden Koch Kubik bis hin zur humanoiden, mehrsprachigen Empfangsdame hinter der Theke.

Die Vielfältigkeit der Funktionsweisen adressiert genau die Potentiale, die noch zu Anfang des Films bezweifelt wurden. Im Laufe der Dokumentation sind wir nicht mehr so forsch im Urteilen, sondern haben das Gefühl, etwas mehr geschult zu sein und der ganzen Idee “mal doch eine Chance zu geben”. Man verzeiht den etwas starren Bewegungen, sieht über die Plastikteile hinweg und kneift vielleicht doch für einen Moment zumindest ein Auge zu, wenn eine sehr menschliche Hand die eines Roboters umschließt.

Fazit

Was mit einem kalten Bild von fabrizierten Robotern in geschlossenen Räumen begann, endete mit einer durchaus warmen und friedlichen Landschaftsaufnahme, geprägt durch ein symbolisch-friedlichen Sonnenuntergang und einem intimen Gespräch zum Sinn des Lebens im Anschluss. “Hi, AI” bedient sich unseres Bewusstseins und nimmt uns an die Hand, um diese Reise in die Zukunft realitätsnah und menschlich zu illustrieren - wobei es gleichzeitig durch diese spielerische Vorgehensweise zur Vorsicht rät.

Sätze wie zum Beispiel “Wir sind Maschinen” zeigt, wie mehrdimensional wir die Begrifflichkeiten eines oder mehreren Intellekts verwenden und diese in künstlich anerkanntes Leben projizieren. Damit mindern wir nicht nur einen Mehrwert unseres eigenen Bewusstseins, sondern führen ganz und gar selbstständig eine “Verroboterung” des Menschen an. Die Debatte dreht sich also nicht um den Roboter, sondern um seine Schöpfer.

Ganz getreu dem Motto: “Indem du eine Blume pflückst, kannst du nicht ihre Schönheit sammeln.”

Wer nun selber diverse Eindrücke sammeln und sich ein Bild darüber machen möchte, ob so ein Roboter einen Platz im Herz des Alltags finden kann, wird ab dem 7. März 2019 die Möglichkeit dazu haben, 87 Minuten voller Erkenntnisse über Wissenschaft und die Suche nach dem Menschen zu erleben!

Mehr Informationen über den Film und die dargestellten Roboter sowie Interviewmaterial findet ihr unter: www.hiai-film.de