Wenn man von vor der Kamera hinter die Kamera wechselt, misslingt das oft. Nicht so bei dem 26-jährigen russischen Schauspieler Alexander Gorchilin. Sein Regiedebüt ist mit Кислота (Kislota) wunderbar gelungen. Der Film beschreibt auf beeindruckende Weise das planlose Leben der beiden Hauptfiguren Sasha und Pete, glänzend in Szene gesetzt von Filipp Avdeev und Alexander Kuznetsov. Der internationale Titel des Filmes lautet Acid und dieses Wort scheint sich gleich dreimal im Film wiederzufinden. Zunächst die Techno-Musik im Club, dessen Sound stark an die Unterkategorie von Techno, „Acid“ erinnert. Charakteristika der Musik sind vor allem die beinahe futuristisch anmutenden Klänge, die durch das hoch- oder runterziehen des Cut-Off-Reglers am Synthesizer entstehen. Das schmatzende Geräusch dabei wird auch als Acid bezeichnet.
Im Club geraten die beiden Hauptdarsteller an den Künstler Vasilisk, der ihnen Acid (ein Szenename für LSD) zum Probieren gibt. Am nächsten Morgen wacht Pete in der Wohnung des Künstlers Auf. n Sasha und zwei Frauen, die sich anscheinend irgendwann im Verlaufe des Abends dem Trip der beiden jungen Männer angeschlossen haben schlafen noch. Hier findet er ein Fläschchen mit Acid, einer stark ätzenden Säure, die der Künstler normalerweise zur Bearbeitung von Statuen verwendet. Aus einer Eingebung heraus beschließt er, das Fläschchen über die drei Schlafenden zu kippen.
Im letzten Moment, kurz bevor der erste Tropfen aus der Flasche fällt, hält er inne, setzt die Flasche an die Lippen und trinkt die ätzende Flüssigkeit selbst. Nur sein Würgereflex bewahrt ihn vor schlimmeren Schäden, einen Teil seiner Lippe verliert er trotzdem.
Drogen, so suggeriert es der Film, scheinen in der Realität der russischen Jugend eine wichtige Rolle zu spielen. Gleich zu Beginn des Filmes treffen Sasha und Pete auf Vanya, ein guter gemeinsamer Freund der beiden Jungs. Im Drogenrausch springt er durch die Wohnung und zerlegt sie. Als er langsam runterkommt, klettert er über die Brüstung des Balkons und fragt Pete, ob er denn springen soll. Pete antwortet, er soll das tun, was er will und Vanya nimmt ihm beim Wort.
Regisseur Alexander Gorchilin
Orientierung hat wohl keiner der Jugendlichen im Film. Jeder befindet sich ständig auf der Suche nach sich selbst. Schwäche zeigen, weil Vanya in den Suizid gesprungen ist? Keine Option. Den pinken Rucksack der Freundin tragen? Zu verweichlicht! Die Eltern geben weder Trost noch Hilfe sondern sind verständnislos und ohnehin in ihre eigenen Problemen verwickelt. Und auch der Film verfolgt die Jugendlichen auf genauso verständnislose Art und Weise, wie die Jugendlichen sich selbst verfolgen.
Kislota ist mein persönlicher Gewinner bei der Berlinale. Verwaschene Bilder zeichnen eine verlorene Jugend in einem kalten Land. Wenn man glaubt, noch härter geht es nicht, kommt immer noch eine Steigerung dazu. Ein wunderbarer Film, bei dem sich der Besuch wirklich lohnt. Einzigartige Filmmusik, die seines Gleichen sucht. Den Wechsel hinter die Kamera ist Alexander Gorchilin auf jeden Fall gut gelungen.